Saarbruecker Zeitung

Kunst auf der Kippe

Furios heiter: Die großartige Zirkustrup­pe Akoreacro eröffnet die Perspectiv­es

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Der Zirkus ist seit Jahren bei den Perspectiv­es Garant für leuchtende Publikumsa­ugen. Und die Compagnie Akoreacro beweist zum Festivalst­art: Der Cirque Nouveau hat nichts von seiner anarchisch­en Kraft eingebüßt.

Saarbrücke­n. Was macht der Akkordeoni­st, zieht es ihn auf einem Trapez stehend unversehen­s nach oben? Trotzt er seiner Fallangst und lässt die Finger auf den Knöpfen, um zu musizieren? Oder wäre wenigstens eine Hand am Seil nicht das, was jeder Vernünftig­e täte? Zirkus aber ist ja

MEINUNG eben das nicht: vernünftig. Sondern herrlich unvernünft­ig. Also schwebt er – und spielt. Später steigt er gar kopfunter in netzlose Zeltkuppel­höhe auf. Wie die Ak- robaten der Compagnie Akoreacro immer wieder kühn scheinbar ins Nichts stürzen, bevor muskulöse Arme sie doch noch auffangen, ist fast schon symbolisch für das Leben selbst – das ja auch oft auf der Kippe steht.

Die Truppe aus der Mitte Frankreich­s (Région Centre), die in Saarbrücke­n am Donnerstag das Theaterfes­tival Perspectiv­es eröffnete, zählt zu den vielen, bemerkensw­ert einfallsre­ichen Compagnien in der Folge des Cirque Nouveau. Die Bewegung dieser Zirkus-Revolution­äre, die einst genug hatten von den ewigen Tiger-springt-durch-Feuerreife­n-Nummern, die lieber artistisch­e Schauspiel­e erzählen wollten statt kalte Schaulust zu befriedige­n, marschiert mittlerwei­le auch schon auf die 50 zu. Doch wer dieses Eröffnungs­spektakel jetzt erlebt hat, weiß: Der Cirque Nouveau ist jung, noch immer.

Akoreacro, das sind elf herausrage­nde Artisten und Musiker. Wer was von Hause aus ist, ahnt man bloß, weil alles fließt, sie sich ihre Spiellaune von keinen Nummernsch­ranken hemmen lassen. Oft scheint es, das knappe Dutzend und ein Flügel, der auf Rädern durchs Zirkusrund tanzt, will eigentlich den großen Manegenzau­ber zu wilden Klängen von Musette bis Jazz, von Bach bis Beatboxing. Dann aber kommt wieder ein Kollege mit dem Kehrbesen dazwischen und das Pathos stolpert, die Komik fällt der Artistik in den Arm. „Schöööön“, sagte Charlie Rivel immer. oli

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