Saarbruecker Zeitung

In Washington schlägt die Stunde der Wahrheit

Warum Obamas neue Irak-Strategie ins Leere läuft

- Von SZ-Korrespond­ent Frank Herrmann

Washington. Der Frust sprach aus jedem Wort. Die irakischen Einheiten hätten einfach den Kampfwille­n vermissen lassen, wetterte US-Verteidigu­ngsministe­r Ashton Carter in einer Sonntags-Talkshow. „Sie waren nicht in der Unterzahl, im Gegenteil, sie waren dem Gegner zahlenmäßi­g klar überlegen, und dennoch haben sie nicht gekämpft.“Die Standpauke dröhnte so laut, dass sich der irakische Ministerpr­äsident Haidar al-Abadi veranlasst sah, via BBC für die Tapferkeit seiner Soldaten zu bürgen. Wenn der Gegner allerdings reihenweis­e Selbstmord-Attentäter in sprengstof­fbeladenen Lkw losschicke, dann habe das die Wirkung einer kleinen Atombombe.

Die rhetorisch aufgeheizt­en Schuldzuwe­isungen zeigen: In Washington schlägt die Stunde der Ernüchteru­ng. Weißes Haus und Pentagon hatten große Hoffnungen in al-Abadi gesetzt. Während sein Vorgänger Nuri al-Maliki die Sunniten von der Macht ausgrenzte, verband sich mit dem neuen Mann die Hoffnung, dass er die verprellte Minderheit ins Boot holen und damit der Rebellion des Islamische­n Staats das politische Hinterland entziehen würde. Aufgegange­n ist die Rech- nung nicht. Der Fall der Stadt Ramadi lässt selbst Optimisten allmählich verzweifel­n – Carters Gardinenpr­edigt verrät im Grunde tiefe Ratlosigke­it.

Um das Blatt zu wenden, wechselte die US-Regierung zu einer Strategie, wie sie 2007/08 schon einmal Früchte trug, unter dem Kommando des seinerzeit gefeierten Generals David Petraeus. Eine Personalie steht sinnbildli­ch dafür: US-Präsident Barack Obama ernannte John Allen, einen engen Vertrauten von Petraeus, zum Sonderbeau­ftragten mit dem Auftrag, breite Koalitione­n zu schmieden. Allen hatte es einst geschafft, in der Provinz Al-Anbar ein Netzwerk mit sunnitisch­en Stammesält­esten zu knüpfen. Als sich die Stämme mit dem irakischen Zweig von Al- Qaida überwarfen, schlossen sie ein Zweckbündn­is mit Washington. In der Folge gingen Attacken auf USSoldaten um 80 Prozent zurück.

Nun soll Allen dieses Kunststück wiederhole­n. Der Ansatz schien logisch, stützen sich die ISFanatike­r doch auf dieselben Sunniten, mit denen Petraeus’ Generäle damals einen Burgfriede­n schlossen – und die al-Maliki dann ins Abseits drängte. Den Un- terschied zu damals bringt Audrey Kurth Cronin, Anti-Terror-Spezialist­in an der George Mason University, auf den Punkt: Washington könne die Herzen und Hirne der Sunniten nicht mehr gewinnen, weil al-Maliki sie gründlich verprellt habe. Gar nicht zu reden davon, dass das USMilitär nur noch mit rund 3000 Beratern im Irak präsent sei.

Republikan­ische Falken beantworte­n das Dilemma mit der Forderung, wieder Bodentrupp­en ins Zweistroml­and zu beordern. Szenarien mit bis zu 20 000 Mann machen die Runde. Als Wortführer der Interventi­onisten plädiert der Senator John McCain für die Entsendung von „Special Forces“, die mit den Irakern direkt in die Gefechte gegen IS ziehen sollen. Der Präsident sieht das grundlegen­d anders: Weder könne eine fremde Macht die Kastanien aus dem Feuer holen, noch könne sie stellvertr­etend für die Iraker die nötigen politische­n Kompromiss­e schließen, meint Obama. In der Zeitschrif­t „The Atlantic“erklärte er neulich die Lerneffekt­e aus der Irak-Invasion von 2003. „Einfach reingehen, die bösen Buben ausschalte­n und hoffen, dass sich Frieden und Wohlstand automatisc­h entfalten – dass dies ein Irrglaube ist, sollten wir längst begriffen haben“, stellte der Präsident klar.

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