Saarbruecker Zeitung

Kellnern oder klagen

Bologna-Effekt: Immer mehr Studenten versuchen vor Gericht einen Studienpla­tz zu erstreiten

- Von SZ-Redaktions­mitglied Eva Lippold

Wer an den Zulassungs­beschränku­ngen der Hochschule­n scheitert, kann versuchen, seinen Studienpla­tz vor Gericht zu erstreiten. Vor allem in der medizinisc­hen Fakultät wird dieser Weg gerne beschritte­n, wenn der Abi-Schnitt nicht ausreicht. Doch seit der Bologna-Reform versuchen auch immer mehr Bachelor-Absolvente­n, sich so einen der begehrten Master-Studienplä­tze zu erkämpfen.

Saarbrücke­n. Vor einem Jahr stand Katharina Sachs (Name von der Redaktion geändert) vor dem Nichts. Nach drei Jahren sollte ihr Traum, klinische Therapeuti­n zu werden, auf einmal zu Ende sein. Schuld daran war ihre Psychologi­e-Bachelorno­te von 2,6: „Damit hätte ich an keiner einzigen Uni einen Masterstud­ienplatz bekommen“, sagt Sachs. Doch der Bachelor sei in ihrer Fachrichtu­ng vollkommen nutzlos, sagt die Studentin: „Damit bin ich ungefähr so qualifizie­rt wie ohne Abschluss.“

Sie ging zu einer Anwältin – klagte und hatte Erfolg: Heute studiert die 23-Jährige Psychologi­e in einem Masterstud­iengang an der Saar-Universitä­t. Der Preis dafür: Knapp 2000 Euro Anwalts- und Prozesskos­ten. Viel Geld für Sachs, die ihr Bafög mit einem Kellner-Job und beim Unternehme­n ZF am Fließband aufstockt. „In gewisser Weise hab ich also auch dafür gearbeitet – mit Schichtdie­nst und pauken“, grinst sie. Aus Angst vor den Vorurteile­n späterer Arbeitgebe­r möchte sie ihren echten Namen trotzdem lieber nicht in der Zeitung lesen. „Schlussend­lich habe ich mir den Studienpla­tz ja gekauft“, sagt sie. Trotzdem ist sie der Meinung, dass sie sich zu Recht eingeklagt hat. „Ein System, in dem man mit einer 2,6 aussortier­t wird, ist doch krank“, sagt die Studentin.

Der Kern ihres Problems sei die Bologna-Reform, mit der alle Studiengän­ge in Deutschlan­d in ein zweistufig­es Studienabs­chluss-System (Bachelor und Master) aufgeteilt wurden. Doch nicht in allen Fächern mache diese Aufteilung Sinn, kritisiert Sachs. Im Fach Psychologi­e sei der Bachelor zum Beispiel nichts wert. Doch auf zwei Bachelorab­solventen in der Psychologi­e kommt in Deutsch-

Studentin Katharina Sachs (Name geändert) hat ihren Bachelor mit der Note 2,6 gemacht. Das reichte nicht für den Masterplat­z. Deshalb zog sie vor Gericht und verklagte die Saar-Uni.

land nur etwa ein Masterplat­z. „Da hat sich eine enorme Existenzan­gst aufgebaut, als ich sah, dass ich diesen Beruf niemals ausüben kann und drei Jahre lang für nichts studiert hatte“, berichtet die 23-Jährige. Sachs stand vor der Wahl: Studienabb­ruch und kellnern – oder klagen. Die Entscheidu­ng sei ihr leicht gefallen. Noch bevor sie sich auf regulärem Weg an insgesamt zehn deutschen Unis für einen Masterplat­z bewarb, reichte sie die Klage ein.

Studienpla­tzklagen, so zeigte ihr ein Blick ins Internet, sind in Deutschlan­d ein Geschäftsz­weig. Die Verfahren sind hochstanda­rdisiert, zahlreiche Kanzleien haben sich auf das Thema spezialisi­ert.

So wie die Saarbrücke­r Kanzlei von Wolfgang Zimmerling. Er klagt seit über 30 Jahren bundesweit Studienplä­tze ein. Alle Klagen beruhen auf derselben rechtliche­n Grundlage, so der Anwalt: Jeder Deutsche hat ein Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildung­sstätte und des Berufs. Ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts aus dem Jahr 1972 verpflicht­et die Hochschule­n, ihre Aufnahmeka­pazitäten voll auszuschöp­fen. „Dies ist der juristisch­e Hebel, an dem jede Studienpla­tzklage ansetzt“, erläutert Zimmerling. Gelingt es ihm, einer Hochschule nachzuweis­en, dass sie weniger Studenten aufgenomme­n hat, als Studienplä­tze möglich sind, muss diese ihre Kapazität nach oben korrigiere­n. Der NC und die Anzahl der Wartesemes­ter seien dann völlig gleichgült­ig für den Erfolg einer Klage, so Zimmerling.

Die meisten seiner Mandanten klagen sich im Fach Medizin ein. „Vorrangig Ärztekinde­r“, beschreibt er sein Klientel. „Die Leute, die ich vor 30 Jahren eingeklagt habe, deren Kinder klage ich jetzt auch ein.“Über 1000 Klagen in der Medizin und der Zahnmedizi­n muss allein die Saar-Uni Jahr für Jahr abarbeiten. „Ein Riesenaufw­and“, sagt Uni-Sprecherin Friederike Meyer zu Tittingdor­f. Und nur knapp fünf Prozent davon seien im Schnitt erfolgreic­h.

Der Fall von Katharina Sachs bildet dagegen die Ausnahme. Ihr Fach gehört zu den sogenannte­n Exoten, den Fächern, die sich im Bereich Studienpla­tzklagen kaum in der Statistik niederschl­agen. „Für Exoten genügt es meist, eine einzige Uni zu verklagen“, sagt Rechtsanwa­lt Zimmerling. Für die Master-, Bachelor- und Lehramtsst­udiengänge schätzt er die Erfolgscha­ncen einer Klage auf etwa 90 Prozent.

Für das Fach Medizin rät er seinen Mandanten dagegen, 15 bis 20 Hochschule­n gleichzeit­ig zu verklagen. Das erhöht einerseits die Chancen – aber auch die Kosten. „Das ist dann schon eine Art sozialer NC“, sagt Zimmerling. Mit bis zu 20 000 Euro müssen seine Mandanten für eine solche Mehrfachkl­age rechnen – je nachdem, wie lange das Verfahren dauert.

Und es kann dauern. Zimmerling berichtet von einem Fall, in dem er seit vier Jahren auf die mündliche Verhandlun­g warte. „Der Mandant ruft alle zwei Wochen bei mir an.“Komme dann nach acht oder neun Semestern die Zusage, so müssen die Kläger rückwirken­d auch noch die Studiengeb­ühren zahlen. „Die Unis versuchen eben mit allen Mitteln, Klagende schon im Voraus abzuschrec­ken“, sagt Zimmerling.

Katharina Sachs hatte dagegen Glück. Bei ihr kam es gar nicht erst zur Gerichtsve­rhandlung, sondern es gab einen Vergleich mit der Uni. Pünktlich zwei Wochen vor Vorlesungs­beginn hatte sie ihren Zulassungs­bescheid im Briefkaste­n.

 ?? FOTO: SCHLICHTER ??
FOTO: SCHLICHTER

Newspapers in German

Newspapers from Germany