Des Königs Wahnsinn in der Kirche
In der Nacht zum Pfingstmontag gab es Ungewöhnliches in den Gotteshäusern
Rund 15 000 Menschen nutzten die Angebote, die die katholische und evangelische Kirche in 65 saarländischen Gotteshäusern machten. Auch in Saarbrücken waren viele Gläubige und Neugierige unterwegs.
Saarbrücken. „Nun ward der Winter unseres Missvergnügens glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks ...“Richard, missgestalteter Herzog von Gloucester und bekennender Bösewicht mit Ambitionen auf den englischen Thron, tobt triumphierend durch die düstere St. Arnualer Stiftskirche. Die Hauptfigur in William Shakespeares BrudermörderDrama „Richard III.“spielt Dietmar Blume selbst; Richards Bruder Georg alias Herzog von Clarence, Prinzessin Anne und Königin Elisabeth verkörpert er mit lebensgroßen Handpuppen.
Theater im Gotteshaus? Auch das gibt es bei dieser achten Nacht der Kirchen: Am Pfingstsonntag hatten saarlandweit wieder 65 Kirchen ihre Pforten geöffnet, um die Vielfalt heutigen Glaubens zu demonstrieren. Da konnte man nicht nur beten oder bei Kerzenschimmer stumme Andacht halten, sondern auch singen, tanzen, essen, trinken und feiern, Konzerte und Ausstellungen unterschiedlichster Art genießen und sich an etlichen Mitmachaktionen beteiligen. Oder eben sogar Theater gucken.
Wie ein Dieb in der Nacht schleicht Schauspieler Dietmar Blume eingangs mit Taschenlampe unter die Kanzel und entpuppt sich als Nachtwächter eines Theaters, dessen Puppen alle 50 Jahre lebendig werden. Eine solch fabelhafte Nacht hat er nun erwischt – so die Rahmenhandlung von Blumes Shakespeare-Adaption, die er um Texte von Guillaume Apollinaire ergänzt hat.
Überzeugend verkörpert Blume den Wahnsinn Richards und zaubert mit seinen originellen Handpuppen eine fantastisch morbide Atmosphäre in das Gotteshaus – fast erwartet man, dass die steinernen Fürsten-Statuen von ihren Sockeln steigen, um ebenfalls mitzuspielen. Die passende akustische Illustration klingt von der Empore: Mit improvisativen Spannungs-Passagen liefern Saxofonist Sebastian Weber und Organist Jörg Abbing mehr als bloße Begleitmusik.
Römer machen Tschai Ein Zeitsprung anderer Art, der dem einen oder anderen die Lagerfeuerromantik früher Jugendtage in Erinnerung ruft, ereignet sich derweil im Hof der evangelischen Alten Kirche am St. Johanner Markt: Dort steht mitten auf dem Rasen eine von Fackeln und Kerzen gesäumte große Jurte; drinnen verbreiten flackernde Holzscheite nicht nur wohlige Wärme, sondern auch neblige Rauchschwaden, was es in der Dunkelheit noch schwieriger macht, überhaupt etwas zu erkennen. Der Stamm „Römer“des Verbandes Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder hat zusammen mit der evangelischen Jugend St. Johann diese „Zeltkirche“errichtet und zu Musik und Texten am Feuer eingeladen.
Überwiegend junge Leute, aber auch ein paar ältere Semester hocken im Kreis um einen Topf mit „Tschai“, eine Art Pfadfinderpunsch, der zu feierlichen Anlässen kredenzt wird. Erst zögernd, dann immer sicherer finden sich Stimmen zu einem Chorgesang, angeführt von Gitarrengeschrammel – von „strahlenden Tagen“und „lila Hosen“ist da die Rede oder davon, dass die Seele Jesu Begeisterte braucht.
Der Rauch haftet zuverlässig in Haaren und Kleidung und begleitet einen zur nächsten Veranstaltung. Zur Schlosskirche etwa, wo unter dem Motto „Klang-Kunst-Kirche“halbstündige Führungen angeboten werden und das „Ensemble la rosa dei Venti“unter Leitung von Lutz Gillmann unter anderem Pfingstkantaten von Johann Sebastian Bach interpretiert. Das Konzert heißt „Erwünschtes Freudenlicht“.
Architektur der Wünsche Lockerer geht’s in der zentral gelegenen Johanneskirche zu. An einem Büfett können sich Besucher stärken für ihr Mitwirken an der Skulpturen-Ausstellung der beiden Künstler Martin Steinert und Werner Bärmann: Zur Harfenmusik von Verena Jochum dürfen die Gäste ihre Anliegen auf Holzstäbe schreiben und somit zu einer „Architektur der Wünsche“beitragen. „Liebe, Toleranz, Achtung“ist da etwa zu lesen, „Mehr mutige Menschen“oder „Mehr Liebe und Verstand für alle!“. Bereits vor 23 Uhr sind die Wände des Altarraums schier übersät mit Wünschen – frommen und weniger frommen.