Konzentriert über alle Klippen
Die deutsche Uraufführung von Góreckis 4. Sinfonie in Dillingen
Die Musikfestspiele Saar boten am Pfingstmontag eine deutsche Uraufführung: Henryk Mikołaj Góreckis 4. Sinfonie, ein sperriges, aber lohnendes Werk.
Dillingen. Als Anfang der 90erJahre Henryk Mikołaj Góreckis 3. Sinfonie in einer Einspielung der London Sinfonietta unter David Zinman erschien, geschah etwas Merkwürdiges: Die CD wurde ein Riesenhit, fand Eingang in Film-Soundtracks und Popstücke. Das war insofern erstaunlich, da die Sinfonie bereits 1976 uraufgeführt wurde.
Für Górecki war der späte Erfolg nicht unproblematisch, da er nun zwar einer breiten Masse bekannt war, sein Schaffen jedoch in der Folge oft auf den elegischsanften, emotional leicht zugänglichen Stil der 3. Sinfonie reduziert wurde. Eine Sicht, die dem einstigen Vertreter der polni- schen Avantgarde nicht gerecht wird, lag ihm doch nie etwas ferner, als den Massengeschmack mit seichter Meditationsmusik zu bedienen. Man muss dies wissen, um Góreckis 4. Sinfonie richtig einordnen zu können, die erst nach dem Tod des Komponisten 2010 von dessen Sohn fertig gestellt wurde. Im April 2014 war Uraufführung in London, am Montag konnte Robert Leonardy im Dillinger Lokschuppen stolz die deutsche Erstaufführung ankündigen.
Zunächst jedoch eröffnete die Baltische Philharmonie Danzig unter der Leitung des Niederländers Ernst van Tiel die Matinee mit Mendelssohn-Bartholdys schwelgerischem e-Moll-Violinkonzert. Ein Meisterwerk der Romantik, das van Tiel schlank und temporeich dirigierte, Solist Ste- fan Tarara durchweg souverän und ohne übertriebenes Pathos interpretierte, wenngleich der vierte Satz etwas gehetzt wirkte.
Manch einen mag daraufhin das, was in den knapp 40 Minuten nach der Pause erklang, befremdet haben. In der Tat irritierten die bisweilen schier endlosen Repetitionen simpler Phrasen zunächst, konnte man die Reihung monolithischer Themen-Blöcke, ohne motivische Entwicklung, als starr empfinden. Doch wer sich auf das im Grundton düstere Werk einließ, wurde schließlich mit einem farbenreichen Klangerlebnis belohnt, das einen Bogen von Strawinsky bis zur Minimal Music schlug.
Als Widmung an den Komponisten Alexandre Tansman (1897-1986) gab Górecki dem Werk den Untertitel „Tansman Epizody“und konstruierte aus dessen Namen ein Fünf-TonThema, das gleich zu Beginn im donnernden Tutti-Fortissimo immer wieder und wieder er- klingt, durchbrochen von mächtigen Trommelschlägen. In kontrastierender Sanftheit schloss sich der zweite Satz an: Celli und Kontrabässe breiteten eine mollgefärbte Klangdecke aus, mit einem zarten Motiv tauchten Klarinetten aus der Düsternis hervor. Der Scherzo-artige dritte Satz klang mit seinem saftigen Bläser-Motiv zunächst folkloristisch, bevor Klavier, Cello und Violine in einer kammermusikalischen Einlage ein wunderschönes impressionistisches Gemälde voller Chromatik hintupften. Der vierte Satz leitete über eine wilde Polka zurück zum Tansman-Motiv, das vom Moll zum erlösenden Dur-Schlussakkord führte.
Dirigent und Orchester meisterten dieses zerklüftete Werk voller dynamischer Klippen und Bizarrerien höchst konzentriert und ernteten dafür großen Applaus, für den sie sich mit einer Mazurka von Moniuszko bedankten. Unkomplizierte Fröhlichkeit zum Ausklang.