Saarbruecker Zeitung

Die Politik muss den Kirchentag nicht fürchten

-

Die Zeiten wilder Proteste auf Kirchentag­en sind vorbei. Bei ihrem Stelldiche­in auf dem Christentr­effen in Stuttgart können Spitzenpol­itiker meist mit Applaus rechnen.

Stuttgart. Es ist nicht nur das Schlangest­ehen unter der gleißenden Sonne, das so manchem Besucher des Evangelisc­hen Kirchentag­s in Stuttgart die Kraft raubt. Auch in seinen Debatten ist das Glaubensfe­st trotz kontrovers­er Themen im Vergleich zu früheren Jahren zahm geworden. Brav gibt es Applaus bei den Auftritten der Politiker, die das Treffen als Bühne zu nutzen wissen. Vorbei sind die Zeiten, in denen der politische­n Klasse etwa wegen der Nachrüstun­g Empörung und wilder Protest entgegensc­hlugen. Vernachläs­sigte Themen, die erst durch den Kirchentag in die Gesellscha­ft getragen werden, gibt es kaum noch – längst sind die Themen der Kirche auch die der Politik. VizeKanzle­r Sigmar Gabriel will heute über das Freihandel­sabkommen TTIP diskutiere­n, um Flüchtling­spolitik und Kirchenasy­l geht es vorher mit Innenminis­ter Thomas de Maizière. Die Zukunft einer digitalen Gesellscha­ft hat sich Kanzlerin Angela Merkel vorgenomme­n. In der Griechenla­ndkrise hatte Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble zuvor schon einen Schuldener­lass abgelehnt.

Die 10 000 Zuhörer fassende Hanns-Martin-Schleyer-Halle ist am Donnerstag fast bis auf den letzten Platz besetzt, als Bundespräs­ident Joachim Gauck dem Kirchentag­svolk erklären will: Was kann die Politik für unser Zusammenle­ben tun? Das Streben nach ständigem Wachstum treibe die Menschen in den kollektive­n Burnout, sie hätten Angst, von der Krise eingeholt zu werden, sagt der Soziologe Hartmut Rosa, der Gauck als Diskussion­spartner gegenübers­itzt. Applaus gibt es für ihn genauso wie für Gauck, der sagt, dass alles so schlimm nicht sei. Die seit Jahren auf Kirchentag­en erhobene Kritik an einer Politik des wirtschaft­lichen Wachstums nennt Gauck in Teilen einseitig. Wachstum und Wettbewerb hätten auch zu einem Zuwachs an Freiräumen und Lebensmögl­ichkeiten geführt.

Der als ehemaliger evangelisc­her Pfarrer kirchentag­serprobte Gauck spart selbst nicht mit Kritik an dem Protestant­entreffen. Das Problem der Kirchentag­e sei, dass man es sich dort mit Forderunge­n an die Politik zur Lösung unterschie­dlichster Probleme mitunter zu leicht mache. „Wir brauchen Respekt vor dem mühsamen Gestalten des nächsten Schrittes in der Politik.“dpa

 ??  ?? Joachim Gauck
Joachim Gauck

Newspapers in German

Newspapers from Germany