Bilder zur Lage der Nation
In München ist der politische Keith Haring zu entdecken
„Es ist an der Zeit, Keith Haring richtig und museal zu präsentieren“, sagt der Leiter der Münchner Hypo-Kunsthalle Roger Diederen. Bis zum 30. August zeigt sein Haus 160 Werke des USamerikanischen Künstlers unter dem Titel „Keith Haring – gegen den Strich“.
München. Jeder glaubt sie zu kennen, die kleinen schwarzen Strichmännchen, die sich unter einem pulsierenden roten Herzen umarmen. Keith Haring ist mit diesen Bildern, die massenhaft als Postkarten, Kalender und Anstecker gedruckt wurden, berühmt geworden – weit über seinen frühen Tod 1990 hinaus. Dass dieser Künstler aber auch eine beißende Gesellschaftskritik übte, die bis heute nichts an Aktualität verloren hat, das zeigt eine spannende Ausstellung bis zum 30. August in München, die anschließend nach Rotterdam geht.
Auf seinem Selbstbildnis zeigt sich der 1958 geborene Künstler mit neongrünem Gesicht, der linke Arm mutiert zu einem aufgerissenen Tiermaul. Giftig und beißend wollte er sein – er, der behütet in einer amerikanischen Kleinstadt in Pennsylvania aufgewachsen war und als Zwanzigjähriger beschloss, nach New York zu gehen, um Künstler zu werden. Die schwarze Kultur mit ihren Graffiti-Künstlern, die er dort vorfand, bewunderte er ganz offensichtlich – doch er entwickelte eine ganz eigene Art, Wände mit seinen Aussagen zu überziehen. Harings Strichmännchen bevölkerten Werbeflächen in der New Yorker UBahn ebenso wie Planen von Lastwagen – ja sogar die Motorhaube eines gelben New Yorker Taxis wurde mit schwarzen Linien überzogen.
Dieses Liniengewirr ist sicher auf die Unterlage gesetzt,
Haring zeichnete gegen Rassismus und Gewalt. Dieses unbetitelte Werk stammt aus dem Jahr 1985.
ohne jegliche Vorzeichnung und ohne nachträgliche Korrekturen. Keith Haring hatte im Kopf, was er zeigen wollte. Und er zeichnete unermüdlich gegen Rassismus und Gewalt, gegen die Macht der Kirche und des Geldes. Wer sich einsieht in seine Bildersprache, der entdeckt Menschen, die an- deren ein Loch in den Kopf oder in den Bauch boxen oder sie mit Stöcken erschlagen – jeder Kopf eines Opfers bekommt ein kleines Kreuz.
Die Strichzeichnungen ergießen sich über den Bildträger, lassen kaum freien Raum zwischen den Linien und Formen – aber sie lassen dem Betrachter viel Freiheit. Es gibt keine „richtige“Auflösung in diesem Universum der Zeichen, denn diese Kunst im öffentlichen Raum sollte nach dem Willen von Haring für jeden zugänglich und für jeden frei interpretierbar sein. Und doch gibt es Bilder, die eindeutig Stellung beziehen: Eine Schreibfeder spießt die Weltkugel auf, ein Schiff mit Teufelshörnern schwimmt in einem verpesteten, todbringenden Wasser, und ein frommer Rundfunkprediger wird zur Hydra mit fünf Augen, vor der es kein Entkommen gibt. In den Jahren ab 1981, als Ronald Reagan Präsident wurde und seine nationalkonservative Regierung die Vereinigten Staaten lenkte, fürchtete Keith Haring um die Freiheit des Individuums. Einige seiner wandgroßen Werke beschriftete er mit „USA“, als sehe er seine Kunstwerke als Bilder zur Lage der Nation.
Am Ende seines kurzen Lebens – er wurde nur 31 Jahre alt – ist er, der auch die homoerotische Liebe zum Thema machte, gezeichnet von Aids. Eine seiner letzten Arbeiten ist ein riesiges pinkfarbenes Dreieck, ein überdimensionaler „Rosa Winkel“, mit dem Nationalsozialisten Homosexuelle ins KZ geschickt hatten. Die Fläche ist gefüllt mit Männchen, die sich Augen, Ohren und Mund zuhalten. „Schweigen = Tod“hat er das Werk von 1988 betitelt – Haring wollte bis zum letzten Atemzug auch das thematisieren, was in der Gesellschaft als Tabu galt. Diesen ernsten, kritischen und unbequemen Keith Haring gilt es zu entdecken. Den lebensfrohen, heiteren Künstler gibt es dann am Ende der Schau im Shop zu kaufen: Zettelblöcke und Sofakissen mit tanzenden Strichmännchen und roten Herzen – was sich eben gut verkaufen lässt.
Läuft bis 30. August. Infos unter www.kunsthalle-muc.de