Die Geschichte im Schatten
Verdis ,,Maskenball” ist in Saarbrücken allein musikalisch ein Triumph
Mit der Premiere von Verdis „Maskenball“setzt sich nun in dieser Saarbrücker Opernsaison ein Trend fort: glänzend der musikalische Auftritt, aber leider bestenfalls mittelmäßig die Regie.
Saarbrücken. Gefahr!!! Die wahre Geschichte zu dieser Oper war mal so brisant, dass sich die Zensur gleich zwei Mal gefordert sah. Schließlich drohte Umstürzlerisches; es ging um den Schwedenkönig Gustav III., den adlige Verschwörer 1792 während eines Maskenballs in der Stockholmer Oper niederschossen. Den noblen Herren war der lebensfrohe Monarch zu heftig auf die Füße getreten, weil er ein paar ihrer Vorrechte kappte.
Als Giuseppe Verdi 50 Jahre später den Stoff dann mit Librettist Antonio Somma zur Oper verdichten wollte, bissen sie erst bei der Zensur in Neapel auf Granit: Man krempelte das Werk komplett um. Erbost zog der Komponist nach Rom weiter. Doch auch dort mäkelten dann die päpstlichen Sittenwächter. Immerhin konnte „un ballo in maschera“1859 in Rom uraufgeführt werden. Aber die Chose spielte nun – schön weit weg – in Amerika; und statt eines Monarchen stirbt ein Gouverneur durch Attentäter-Hand; aristokratisch gesehen wohl eine deutlich geringere Fallhöhe.
Mit der Saarbrücker Neuinszenierung des „Maskenball“wäre man aber höchstwahrscheinlich bereits vor 150 Jahren locker durch die Zensur spaziert, ohne bloß ein Strichlein am Libretto zu tätigen. So apolitisch und bieder wirkt das, was Regisseur Tom Ryser auf der Bühne anrichtet. Noch dazu in einem verqueren Jahrhundertreigen. Graf Riccardo, der Gouverneur von Boston, verharrt erkennbar als Mann unserer Zeit im hellblauen Sommeranzug gedankenverloren vor einem riesigen Porträt Gustav III. (18. Jahrhundert). Bis ihm die Drehbühne allerlei Höflinge vor die Füße spült – selbige allerdings in Kostümen des 16. und 17. Jahrhunderts (Bühne und Kostüme: Stefan Rieckhoff ). Jedenfalls stecken ihre Köpfe eingezwungen in Halskrausen wie aus überdimensionalen Spiralfedern gemacht. Kein Wunder, dass Riccardo (warum ein Gouverneur der englischen Krone einen italienischen Grafentitel führt und das Porträt eines schwedischen Königs in seine Residenz hängt, irritiert offenbar weder Regisseur noch Dramaturgin) ungläubig auf dieses Historienkabinett schaut: Gestalten aus fernen Zeiten mit einer fernen Geschichte. So fremd wirkt das, wie einem auch die Oper an sich manchmal fremd vorkommen kann. Im Grunde ist das Rysers klügster Streich, dass wir mit Riccardo erstaunt auf diese alte Geschichte schauen.
Doch selbst, wenn man den gesellschaftlichen Sprengstoff dieser Oper übersieht, übersehen will, da ist noch anderes, was zünden müsste. Schließlich brodeln auch die Gefühle: Riccardo (James Lee) brennt für Amelia (Susanne Braunsteffer), die Frau seines Sekretärs und Freundes Renato. Ryser aber serviert auch dies bloß lauwarm, nötigt Sänger und Choristen in überkommene Posen.
Nun aber kommt das große ABER. Denn man wird diesen „Maskenball“dennoch lieben, ganz sicher. Stehen da doch viele Gäste aber auch exzellente hauseigene Kräfte auf der Bühne, die in ihrer Premierenabendform auch in München oder Berlin glänzen würden. James Lee etwa ist ein StrahleTenor erster Güte, mit Feuer und Eleganz in der Stimme, der sich nichts aufspart, von seinem ersten Ton an alles gibt. Vielleicht kämpft er deshalb auch im dritten Akt ein wenig. Susanne Braunsteffer hat zum wunderbaren Timbre Kraft im Überfluss und enorme Dramatik für ihre Amelia. So dass man nach „Morro, ma prima in grazia…“gleich „Zugabe“rufen möchte. Und Olafur Sigurdarson singt als vermeintlich gehörnter Gatte Renato seine Herzenspein und seine Eifersucht so wahrhaftig, so eindringlich, dass man mit ihm fühlen muss. Auch Herdís Anna Jonasdóttirs keck-koloraturflinker Sopran ist für den vorwitzigen Pagen Oscar wie geschaffen. Und Romina Boscolo grundiert die Seherin Ulrica vortrefflich mit düsterem Alt.
Dazu ein Opernchor in Hoch- form. Auch das Staatsorchester überzeugt weithin, gleichwohl Generalmusikdirektor Nicholas Milton oft sehr forsch, selten aber finessenreich dirigiert. Es ist ein Power-Verdi Miltons an diesem Abend, was gerade im sensiblen zweiten Akt irritiert. Trotzdem: Musikalisch ist dieser „Maskenball“ein Fest, in puncto Regie und Dramaturgie jedoch hatte die Saarbrücker Oper in früheren Spielzeiten schon deutlich mehr zu bieten.
Weitere Aufführungen: 19., 24. und 30. Juni. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.