Saarbruecker Zeitung

Die Geschichte im Schatten

Verdis ,,Maskenball” ist in Saarbrücke­n allein musikalisc­h ein Triumph

- Von SZ-Redakteur Oliver Schwambach

Mit der Premiere von Verdis „Maskenball“setzt sich nun in dieser Saarbrücke­r Opernsaiso­n ein Trend fort: glänzend der musikalisc­he Auftritt, aber leider bestenfall­s mittelmäßi­g die Regie.

Saarbrücke­n. Gefahr!!! Die wahre Geschichte zu dieser Oper war mal so brisant, dass sich die Zensur gleich zwei Mal gefordert sah. Schließlic­h drohte Umstürzler­isches; es ging um den Schwedenkö­nig Gustav III., den adlige Verschwöre­r 1792 während eines Maskenball­s in der Stockholme­r Oper niederscho­ssen. Den noblen Herren war der lebensfroh­e Monarch zu heftig auf die Füße getreten, weil er ein paar ihrer Vorrechte kappte.

Als Giuseppe Verdi 50 Jahre später den Stoff dann mit Librettist Antonio Somma zur Oper verdichten wollte, bissen sie erst bei der Zensur in Neapel auf Granit: Man krempelte das Werk komplett um. Erbost zog der Komponist nach Rom weiter. Doch auch dort mäkelten dann die päpstliche­n Sittenwäch­ter. Immerhin konnte „un ballo in maschera“1859 in Rom uraufgefüh­rt werden. Aber die Chose spielte nun – schön weit weg – in Amerika; und statt eines Monarchen stirbt ein Gouverneur durch Attentäter-Hand; aristokrat­isch gesehen wohl eine deutlich geringere Fallhöhe.

Mit der Saarbrücke­r Neuinszeni­erung des „Maskenball“wäre man aber höchstwahr­scheinlich bereits vor 150 Jahren locker durch die Zensur spaziert, ohne bloß ein Strichlein am Libretto zu tätigen. So apolitisch und bieder wirkt das, was Regisseur Tom Ryser auf der Bühne anrichtet. Noch dazu in einem verqueren Jahrhunder­treigen. Graf Riccardo, der Gouverneur von Boston, verharrt erkennbar als Mann unserer Zeit im hellblauen Sommeranzu­g gedankenve­rloren vor einem riesigen Porträt Gustav III. (18. Jahrhunder­t). Bis ihm die Drehbühne allerlei Höflinge vor die Füße spült – selbige allerdings in Kostümen des 16. und 17. Jahrhunder­ts (Bühne und Kostüme: Stefan Rieckhoff ). Jedenfalls stecken ihre Köpfe eingezwung­en in Halskrause­n wie aus überdimens­ionalen Spiralfede­rn gemacht. Kein Wunder, dass Riccardo (warum ein Gouverneur der englischen Krone einen italienisc­hen Grafentite­l führt und das Porträt eines schwedisch­en Königs in seine Residenz hängt, irritiert offenbar weder Regisseur noch Dramaturgi­n) ungläubig auf dieses Historienk­abinett schaut: Gestalten aus fernen Zeiten mit einer fernen Geschichte. So fremd wirkt das, wie einem auch die Oper an sich manchmal fremd vorkommen kann. Im Grunde ist das Rysers klügster Streich, dass wir mit Riccardo erstaunt auf diese alte Geschichte schauen.

Doch selbst, wenn man den gesellscha­ftlichen Sprengstof­f dieser Oper übersieht, übersehen will, da ist noch anderes, was zünden müsste. Schließlic­h brodeln auch die Gefühle: Riccardo (James Lee) brennt für Amelia (Susanne Braunsteff­er), die Frau seines Sekretärs und Freundes Renato. Ryser aber serviert auch dies bloß lauwarm, nötigt Sänger und Choristen in überkommen­e Posen.

Nun aber kommt das große ABER. Denn man wird diesen „Maskenball“dennoch lieben, ganz sicher. Stehen da doch viele Gäste aber auch exzellente hauseigene Kräfte auf der Bühne, die in ihrer Premierena­bendform auch in München oder Berlin glänzen würden. James Lee etwa ist ein StrahleTen­or erster Güte, mit Feuer und Eleganz in der Stimme, der sich nichts aufspart, von seinem ersten Ton an alles gibt. Vielleicht kämpft er deshalb auch im dritten Akt ein wenig. Susanne Braunsteff­er hat zum wunderbare­n Timbre Kraft im Überfluss und enorme Dramatik für ihre Amelia. So dass man nach „Morro, ma prima in grazia…“gleich „Zugabe“rufen möchte. Und Olafur Sigurdarso­n singt als vermeintli­ch gehörnter Gatte Renato seine Herzenspei­n und seine Eifersucht so wahrhaftig, so eindringli­ch, dass man mit ihm fühlen muss. Auch Herdís Anna Jonasdótti­rs keck-koloraturf­linker Sopran ist für den vorwitzige­n Pagen Oscar wie geschaffen. Und Romina Boscolo grundiert die Seherin Ulrica vortreffli­ch mit düsterem Alt.

Dazu ein Opernchor in Hoch- form. Auch das Staatsorch­ester überzeugt weithin, gleichwohl Generalmus­ikdirektor Nicholas Milton oft sehr forsch, selten aber finessenre­ich dirigiert. Es ist ein Power-Verdi Miltons an diesem Abend, was gerade im sensiblen zweiten Akt irritiert. Trotzdem: Musikalisc­h ist dieser „Maskenball“ein Fest, in puncto Regie und Dramaturgi­e jedoch hatte die Saarbrücke­r Oper in früheren Spielzeite­n schon deutlich mehr zu bieten.

Weitere Aufführung­en: 19., 24. und 30. Juni. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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