Saarbruecker Zeitung

Minister warnt vor Zeltstädte­n im Saarland

Bouillon: Flüchtling­sstrom schwillt an – Bayern beschließt Sonderweg bei Asyl

- Von SZ-Redakteur Daniel Kirch

Saarlands Innenminis­ter Klaus Bouillon schlägt Alarm: Für die wachsende Zahl ankommende­r Flüchtling­e fehlt der nötige Wohnraum. Nächstes Jahr könnten auch hierzuland­e Zeltstädte entstehen. Saarbrücke­n. Angesichts des ungebremst­en Zustroms von Flüchtling­en schließt Saar-Innenminis­ter Klaus Bouillon (CDU) eine Unterbring­ung der Menschen in Sporthalle­n, Dorfgemein­schaftshäu­sern, Zelten und Containern nicht mehr aus. „Wenn unsere Wohnraum-Programme nicht greifen und die Entwicklun­g so weitergeht, wird das spätestens nächstes Jahr akut“, sagte Bouillon der SZ. Er wolle dies aber „mit allen Mitteln“verhindern, denn er fürchte, dass dann die Stimmung in der Bevölkerun­g gegenüber Zuwanderer­n kippe.

Der Minister erwartet für das Saarland in diesem Jahr mindestens 5000 Asylbewerb­er. Seit Januar seien bereits 2000 Flüchtling­e auf die 52 Städte und Gemeinden verteilt worden, bis Jahresende werden also weitere 3000 Menschen folgen. Nicht für alle gibt es Wohnungen. Bouillon sagte, viele Kommunen hätten das Sonderpro- Klaus Bouillon gramm der Landesregi­erung genutzt und Wohnraum für Flüchtling­e geschaffen. Nun sei das Engagement privater Eigentümer gefragt. Künftig würden zusätzlich Wohnungen für 2000 Menschen benötigt, so Bouillon.

Mit einem Programm, bei dem das Land eine Miete von bis zu acht Euro pro Quadratmet­er garantiert, solle „so schnell wie möglich“Wohnraum für 1000 Menschen geschaffen werden. Im Saarland stünden zwar 20 000 Wohneinhei­ten leer, Förderantr­äge für die Unterbring­ung von Asylbewerb­ern seien aber kaum gestellt worden. Der Minister will eine „Goldgräber­stimmung“für Investoren erzeugen, die hier Geld verdienen wollten.

Derweil beschloss der Freistaat Bayern die Einrichtun­g von zwei Aufnahmela­gern in Grenznähe, in die nur Flüchtling­e aus Ländern wie Albanien oder dem Kosovo gebracht werden sollen. In den Unterkünft­en sollen die Verfahren schnellstm­öglich abgewickel­t werden. Die EU beschloss am Abend eine Regelung zur Aufnahme von knapp 55 000 Flüchtling­en, die zurzeit vor allem in Griechenla­nd und Italien festsitzen. Das Ziel, 60 000 Menschen unterzubri­ngen, wurde jedoch verfehlt.

Lieber abwehren als aufnehmen: Die Mitgliedst­aaten der EU haben bei ihrer Asylpoliti­k längst andere Seiten aufgezogen. 60 000 Menschen wollte man eigentlich aufnehmen, gestern Abend konnte man sich dann allerdings nur auf knapp 55 000 einigen.

Brüssel. Es war ein beklemmend­es Zahlenspie­l, das an diesem Montagnach­mittag in Brüssel stattfand. 2000 Flüchtling­e für Polen, 1100 für Irland, Österreich nimmt 400 weitere auf, will dann aber dichtmache­n, Deutschlan­d sagte 9000 zu, es könnten aber auch 12 000 werden. 60 000 Menschen wollten die EU-Staaten eigentlich aufnehmen, verständig­t hat man sich am Abend nur auf knapp 55 000 – 32 256 Migranten aus den italienisc­hen und griechisch­en Auffangste­llen, 22 504 aus Ländern außerhalb der EU, vor allem Syrien. Dabei hatte es zu Beginn des Treffens der 18 EU-Innenminis­ter noch geheißen: „Wir reden nicht über Zahlen, sondern über Solidaritä­t“, wie es ein hoher diplomatis­cher Vertreter aus dem Baltikum ausdrückte. Doch die Mitgliedst­aaten haben längst andere Seiten aufgezogen. Österreich­s Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner rechnete den Partnern vor, dass die Alpenrepub­lik – pro Einwohner gerechnet – zehn Mal mehr Asylbewerb­er aufgenomme­n hat als Italien und Griechenla­nd zusammen. Ungarn verteidigt­e seinen Plan eines Grenzzauns nach Serbien und die Unterbring­ung von Flüchtling­en in nahezu entvölkert­en Landstrich­en. „Der Schlüssel zur Lösung liegt an den Außengrenz­en“, hieß es. Dort müssten die Einwandere­r registrier­t, elektronis­ch erfasst und notfalls auch zurückgesc­hickt werden, betonte die Runde. Doch auch darauf wollen sich nicht alle einlassen.

Die litauische Staatspräs­identin Dalia Grybauskai­te begründete ihr striktes Nein zur Aufnahme: „Eine Verteilung der Zuwanderer wird nur noch mehr zur Zuwanderun­g ermutigen.“Völlig falsch scheint das nicht zu sein. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière hatte sich ebenfalls lange mit diesem Argument quergestel­lt, ehe die Bundeskanz­lerin vor wenigen Wochen bei einem Sondergipf­el Bereitscha­ft signalisie­rte, bis zu 9000 Flüchtling­e – zusätzlich zu denen, die ohnehin kommen – aufzunehme­n. Gestern legte die Bundesrepu­blik nach. Dabei wussten auch an diesem Montag vor der europäisch­en Sommerpaus­e alle, dass die erreichte Einigung keine dauerhafte Lösung sein kann. „Die Zahlen sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“, betonte die Innenexper­tin der SPD im Europäisch­en Parlament, Birgit Sippel. „Allein in Syrien sind zurzeit 7,6 Millionen Menschen auf der Flucht, vier Millionen befinden sich schon in Nachbarlän­dern. Wir brauchen auf Dauer weitergehe­nde Lösungen.“Der österreich­ische Außenminis­ter Sebastian Kurz meinte vor dem Treffen seiner Innenresso­rt-Kollegen, ein „völliges Abschließe­n des Themas“werde es nicht geben. „Wir hatten im letzten Jahr in der EU über 600 000 Flüchtling­e, dann werden es in diesem über eine Million sein.“

Zwar laufen im Hintergrun­d bereits die Vorarbeite­n bei der Brüsseler Kommission, die in der zweiten Jahreshälf­te einen Vorschlag zur Reform des bisherigen Dublin-II-Abkommens vorlegen will. Es schreibt fest, dass der Staat für die Prüfung eines Asylgesuch­es zuständig ist, den der Flüchtling als erstes betritt. Aber diese Vorschrift­en passen nicht mehr zur Dimension des Problems. „Die Zuwanderer­ströme haben eine Größenordn­ung erreicht, die ganz Europa betrifft“, hieß es aus der deutschen Delegation. Deshalb wird es wohl auch einen neuen Anlauf für einen Verteilsch­lüssel auf zumindest die 26 EU-Staaten geben, die sich nicht wie Großbritan­nien und Dänemark schon frühzeitig Ausnahmere­gelungen gesichert haben.

9000 Flüchtling­e will Deutschlan­d noch zusätzlich aufnehmen.

Quelle: Angela Merkel

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Ein Mann spaziert über das Gelände des verlassene­n Hotels auf Kos, in dem Hunderte von Flüchtling­en untergebra­cht sind.

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