Der Mann mit der Rente: Norbert Blüm wird 80
Ex-Arbeitsminister wird 80 und sieht seine Rentenpolitik bestätigt
Bonn. Er will immer noch etwas bewegen. Obwohl Norbert Blüm sich 2002 aus dem Bundestag verabschiedete, mischt er sich weiter ein. Gerade erst hat er sich für die WDR-Dokumentation „Im Auftrag meiner Enkel“auf Entdeckungsreise quer durch die Republik gemacht, um Antworten für die Zukunft zu erkunden. Zuvor war er mit einem Reporter in Katar, um die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter bei den WMFußballstadien anzuprangern. Heute wird der in Bonn lebende CDU-Politiker 80 Jahre alt.
Blüm, der als soziales Gewissen der Union und als „Herz-Jesu-Sozialist“galt, wandte sich zuletzt auch gegen die Aushöhlung der Familie und eine Sozialpolitik, die den Solidaritätsgedanken verabschiedet. Die Kindheit werde immer mehr verstaatlicht, weil die Mütter an der Arbeitsfront gebraucht würden. In seiner 2014 erschienenen Streitschrift „Einspruch“warf er Juristen und Gesetzgeber vor, die klassische Ehe und Familie niederzuwalzen. Das reformierte Scheidungsrecht lasse geschiedene Frauen und deren Kinder als Opfer zurück. Besonders ärgerte es ihn, dass seine Partei es war, die die gesetzliche Grundlage dafür schuf: „Die CDU trägt die Hauptverantwortung an der Entkernung von Ehe und Familie.“Ätzende Kritik hat Blüm auch an Wirtschaft und Wissenschaft geübt. Während der Finanzkrise verglich er Analysten, Ratingagentu- ren und Wirtschaftsprofessoren mit dem Kaiser, der keine Kleider anhat. „Nie hat sich eine Zunft, die das Etikett Wissenschaft in Anspruch nimmt, mehr blamiert als die der Ökonomen“, blaffte er.
Blüm selber wird vorgehalten, dass er Märchen erzählt hat. „Die Rente ist sicher“, diesen Satz von 1986 wird er nicht los. Doch er denkt gar nicht daran, sich dafür zu entschuldigen. „Ein Rentensystem, das auf Arbeit aufbaut, bietet mehr Sicherheit als eines, das kapitalgedeckt ist und uns als goldene Zukunft gepriesen wurde“, argumentiert er.
Auf dem CDU-Parteitag 2003 wurde er für seine Haltung ausgepfiffen. Zu sehr stand er nach Meinung vieler für eine Sozialpolitik, die auf Globalisierung und Alterung der Gesellschaft keine Antwort fand. Dabei konnte der gebürtige Rüsselsheimer in seiner Karriere aus ganz unterschiedlichen Erfahrungswelten schöpfen: In den 1960er Jahren studierte der gelernte Werkzeugmacher Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie – unter anderem bei Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. 30 Jahre lang war er im Bundestag, 16 Jahre lang Arbeitsund Sozialminister in der Regierung Helmut Kohl – umso härter der Bruch mit dem Altkanzler, der ihm „Verrat“im innerparteilichen Machtkampf vorwarf.
Als Minister hat Blüm eine Gesundheitsreform und zwei große Rentenreformen durchgesetzt. Am meisten aber verbindet sich wohl die Einführung der Pflegeversicherung 1995 mit seinem Namen. Nach dem Rückzug aus der Politik trat Blüm auch in volkstümlichen TV-Sendungen und bei Karnevals-Veranstaltungen auf. 2010 übernahm er die Hemmerle-Professur am Lehrstuhl für Systematische Theologie der RWTH Aachen. In seiner Vorlesung dozierte er über eine „große Idee im Tiefschlaf: die Christliche Soziallehre“. Ein Sozialpolitiker, der sich treu bleibt.