Insel der Vergessenen
Flüchtlingsnot auf Kos – Fast 80 000 Menschen sind seit Jahresbeginn übers Meer gekommen – Keine Hilfe von Athen
Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, dem Iran oder dem Irak: Tausende Flüchtlinge haben seit Anfang des Jahres auf kleinen Booten die griechische Insel Kos erreicht. Von der türkischen Küste aus sind es nur wenige Kilometer, dennoch setzen die Menschen bei der Überfahrt über die Ägäis ihr Leben aufs Spiel. „Es ist sehr gefährlich“, erzählt Mohammed Ismail. „Wir waren 15 Leute, darunter zwei Kinder. Um sechs Uhr morgens hat uns die griechische Marine gerettet.“Zu essen oder trinken hätten sie aber nichts bekommen – auch keine medizinische Versorgung, sagt der 40-Jährige, der aus Pakistan stammt.
Täglich kommen laut UNFlüchtlingshilfswerk UNHCR im Schnitt 50 bis 100 Bootsflüchtlinge auf die kleine Insel. Gegenüber 2014 habe sich die Zahl versechsfacht, sagt der UNHCR-Verantwortliche Angelos Klinis. Viele Gestrandete kommen in einem verlassenen Hotel außerhalb der Stadt Kos unter, das vor 18 Jahren geschlossen wurde. Hier liegen Matratzen auf dem Boden, zwischen kaputten Scheiben und bröckelndem Putz. „Das Hotel der Waisen“, nennt es Mohammed Ismail. In dem heruntergekommenen Gebäude schlagen die Menschen die Zeit tot und warten auf eine Gelegenheit, aufs griechische Festland zu kommen und von dort in andere EU-Länder zu ziehen. „Wir verlangen nichts von Griechenland, wir wollen nur weiter“, sagt Ahmad Safi. Der 26Jährige erzählt, er komme aus der syrischen Stadt Dair as-Saur, die von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kontrolliert wird. „Ich möchte nach Deutschland, um dort mein Zahnmedizin-Studium zu Ende zu bringen und zu arbeiten.“Das Leben in dem verlassenen Hotel sei schwierig. Die hygienischen Verhältnisse seien schlimm, es gebe kaum Essen.
Auf Kos gibt es kein Aufnahmelager. Wenn die Flüchtlinge eintreffen, sind sie auf sich gestellt. Die Behörden des klammen Landes fühlen sich nicht verantwortlich, sie zu versorgen. Darum kümmern sich Hilfsorganisationen oder örtliche Freiwillige. Mittags kommen UNHCR-Mitarbeiter in das verlassene Hotel, um den Flüchtlingen zu helfen, die nötigen Dokumente zu beantragen, mit denen sie die Insel verlassen können. Eine örtliche Gruppe von Anwohnern bringt Essen für die rund 600 Flüchtlinge, die derzeit in dem alten Hotel ausharren. „Wir haben die Gruppe Ende Mai gebildet, nachdem wir festgestellt hatten, dass diese Menschen hungern“erzählt Athena, eine der Freiwilligen. Anfangs hätten die Betreiber von Hotels auf der Insel sie mit Lebensmitteln unterstützt. „Aber wegen der Wirtschaftskrise ist die Hilfe stetig zurückgegangen.“Nun seien es Frauen aus der Umgebung, die jeden Tag für die Flüchtlinge kochten. Günter Burkhardt von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl war vor einigen Tagen selbst auf Kos und anderen griechischen Inseln. „Die Lage ist katastrophal“, sagt der Geschäftsführer der Organisation. Es fehle dort an allem – an Essen, Schlafplätzen, Kleidung. Dringend nötig sei ein Hilfsprogramm, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.
Auch Bernd Pastors vom Medikamentenhilfswerk action medeor ist besorgt. Die Zustände seien dramatisch. Die Flüchtlinge hätten nicht nur Hunger und Durst. Es fehle auch an Medikamenten. Antibiotika, Schmerzmittel, Arzneien gegen Durchfall. Die Organisation hat deutsche Pharmafirmen zu Spenden aufgerufen. Der griechische Staat habe kein Geld und kümmere sich nicht um die Flüchtlinge, sagt Pastors. „Sie sind völlig auf sich gestellt.“80 000 Menschen sind laut UNHCR seit Jahresbeginn nach Griechenland gekommen. Es sei höchste Zeit zu handeln, mahnt Pro-Asyl- Geschäftsführer Burkhardt. „Es darf nicht sein, dass Menschen in Europa elend zugrunde gehen, weil alle wegsehen.“