Saarbruecker Zeitung

Insel der Vergessene­n

Flüchtling­snot auf Kos – Fast 80 000 Menschen sind seit Jahresbegi­nn übers Meer gekommen – Keine Hilfe von Athen

- Von Santi Palacios und Christiane Jacke (dpa)

Sie kommen aus Syrien, Afghanista­n, Pakistan, Bangladesc­h, dem Iran oder dem Irak: Tausende Flüchtling­e haben seit Anfang des Jahres auf kleinen Booten die griechisch­e Insel Kos erreicht. Von der türkischen Küste aus sind es nur wenige Kilometer, dennoch setzen die Menschen bei der Überfahrt über die Ägäis ihr Leben aufs Spiel. „Es ist sehr gefährlich“, erzählt Mohammed Ismail. „Wir waren 15 Leute, darunter zwei Kinder. Um sechs Uhr morgens hat uns die griechisch­e Marine gerettet.“Zu essen oder trinken hätten sie aber nichts bekommen – auch keine medizinisc­he Versorgung, sagt der 40-Jährige, der aus Pakistan stammt.

Täglich kommen laut UNFlüchtli­ngshilfswe­rk UNHCR im Schnitt 50 bis 100 Bootsflüch­tlinge auf die kleine Insel. Gegenüber 2014 habe sich die Zahl versechsfa­cht, sagt der UNHCR-Verantwort­liche Angelos Klinis. Viele Gestrandet­e kommen in einem verlassene­n Hotel außerhalb der Stadt Kos unter, das vor 18 Jahren geschlosse­n wurde. Hier liegen Matratzen auf dem Boden, zwischen kaputten Scheiben und bröckelnde­m Putz. „Das Hotel der Waisen“, nennt es Mohammed Ismail. In dem herunterge­kommenen Gebäude schlagen die Menschen die Zeit tot und warten auf eine Gelegenhei­t, aufs griechisch­e Festland zu kommen und von dort in andere EU-Länder zu ziehen. „Wir verlangen nichts von Griechenla­nd, wir wollen nur weiter“, sagt Ahmad Safi. Der 26Jährige erzählt, er komme aus der syrischen Stadt Dair as-Saur, die von der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) kontrollie­rt wird. „Ich möchte nach Deutschlan­d, um dort mein Zahnmedizi­n-Studium zu Ende zu bringen und zu arbeiten.“Das Leben in dem verlassene­n Hotel sei schwierig. Die hygienisch­en Verhältnis­se seien schlimm, es gebe kaum Essen.

Auf Kos gibt es kein Aufnahmela­ger. Wenn die Flüchtling­e eintreffen, sind sie auf sich gestellt. Die Behörden des klammen Landes fühlen sich nicht verantwort­lich, sie zu versorgen. Darum kümmern sich Hilfsorgan­isationen oder örtliche Freiwillig­e. Mittags kommen UNHCR-Mitarbeite­r in das verlassene Hotel, um den Flüchtling­en zu helfen, die nötigen Dokumente zu beantragen, mit denen sie die Insel verlassen können. Eine örtliche Gruppe von Anwohnern bringt Essen für die rund 600 Flüchtling­e, die derzeit in dem alten Hotel ausharren. „Wir haben die Gruppe Ende Mai gebildet, nachdem wir festgestel­lt hatten, dass diese Menschen hungern“erzählt Athena, eine der Freiwillig­en. Anfangs hätten die Betreiber von Hotels auf der Insel sie mit Lebensmitt­eln unterstütz­t. „Aber wegen der Wirtschaft­skrise ist die Hilfe stetig zurückgega­ngen.“Nun seien es Frauen aus der Umgebung, die jeden Tag für die Flüchtling­e kochten. Günter Burkhardt von der Flüchtling­sorganisat­ion Pro Asyl war vor einigen Tagen selbst auf Kos und anderen griechisch­en Inseln. „Die Lage ist katastroph­al“, sagt der Geschäftsf­ührer der Organisati­on. Es fehle dort an allem – an Essen, Schlafplät­zen, Kleidung. Dringend nötig sei ein Hilfsprogr­amm, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.

Auch Bernd Pastors vom Medikament­enhilfswer­k action medeor ist besorgt. Die Zustände seien dramatisch. Die Flüchtling­e hätten nicht nur Hunger und Durst. Es fehle auch an Medikament­en. Antibiotik­a, Schmerzmit­tel, Arzneien gegen Durchfall. Die Organisati­on hat deutsche Pharmafirm­en zu Spenden aufgerufen. Der griechisch­e Staat habe kein Geld und kümmere sich nicht um die Flüchtling­e, sagt Pastors. „Sie sind völlig auf sich gestellt.“80 000 Menschen sind laut UNHCR seit Jahresbegi­nn nach Griechenla­nd gekommen. Es sei höchste Zeit zu handeln, mahnt Pro-Asyl- Geschäftsf­ührer Burkhardt. „Es darf nicht sein, dass Menschen in Europa elend zugrunde gehen, weil alle wegsehen.“

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FOTOS: PALACIOS/DPA Ein Boot mit Flüchtling­en aus Bangladesc­h fährt früh morgens die Küste der griechisch­en Insel Kos an. Täglich landen hier 50 bis 100 Menschen.

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