Wie ein Saarländer in die Schuldenfalle kam
Vom erfolgreichen Unternehmer in die Pleite – Ein Betroffener erzählt seine Geschichte
Die Briefe kommen stapelweise. Gläubiger, Inkassobüros. Den Überblick hat er lange verloren, er macht die Briefe schon gar nicht mehr auf. Vor seiner Frau versteckt er sie. Seine Frau weiß nichts von seiner Lage. Wie kann er ihr sein Versagen gestehen? Dass er seine Firma, ihr ganzes gemeinsames Leben an die Wand gefahren hat? Dass sie sich das Haus, in dem sie wohnen, das er selbst gebaut hat, eigentlich nicht mehr leisten können?
Karl Probst (Name von der Redaktion geändert) war immer ein Macher. Hat die Schule abgebrochen, ist Taxi gefahren. Hat als Hilfsarbeiter bei einer Landschaftsbaufirma angefangen, sich schnell zum Lagerverwalter und Einkäufer hochgearbeitet. Als die Firma dicht machte, hat er seinen Lagerund Logistikmeister gemacht, noch den technischen Betriebswirt drangehängt und die mittlere Reife nachgeholt. Gleichzeitig bei einer anderen Firma als Lagerverwalter gearbeitet. Nebenher hat Probst ein kleines Unternehmen gegründet, Startkapital: 50 Mark. Sich alles selbst beigebracht, nachts Computer auseinandergebaut und wieder zusammengeschraubt. Als seine Stelle als Lagerverwalter aus finanziellen Gründen gestrichen wurde, war es dann so weit: Er stellte sich mit seiner kleinen IT-Firma komplett auf eigene Beine.
Und es lief gut. Die Firma wuchs schnell, er stellte Mitarbeiter ein, verzeichnete monatliche Umsatz-Zuwächse von 20 bis 30 Prozent. Machte Geschäfte mit den großen Namen: IBM, Hewlett Packard. Wurde vom da- maligen Wirtschaftsminister eingeladen, der sagte ihm: Wenn wir im Saarland 5000 Leute mit Ihrem Unternehmergeist hätten, hätten wir Vollbeschäftigung. Zu solchen Terminen trug Probst Armani-Anzüge, fuhr Mercedes und BMW.
Aber die Firma expandierte zu schnell. Hatte zu wenig Eigenkapital. Die Ausgaben und Einnahmen waren irgendwann nicht mehr im Fluss. Er musste jonglieren. Seiner Frau legte er Kreditverträge vor, und die unterschrieb – ohne sie zu lesen. Du machst das schon, sagte sie ihm.
Nachts liegt er wach, weil er nicht weiß, wie er seine Mitarbeiter bezahlen soll. Aber er will nicht aufgeben. Nächste Woche kommt ja wieder Geld rein. Irgendwie kann ich das schon deichseln. Seine Mitarbeiter stehen hinter ihm, sagen, zahl uns nächsten Monat nur ein Drittel unseres Gehalts. Jetzt ist der Moment, jetzt müsste ihm jemand zurufen: Hör auf! Aber das macht keiner. Weil er mit niemandem darüber spricht.
Von seiner Tochter erfährt Probst, dass sein Haus zwangsversteigert wird. Ein Freund bei der Bank habe ihr das erzählt. Sie zeigt ihm das Exposé: Das ist tatsächlich sein Haus. Nicht viel später stehen zwei Leute vor seiner Haustür. Wann er und seine Frau denn ausziehen würden. Sie hätten das Haus ersteigert. Er müsse raus.
Seine Frau weiß inzwischen Bescheid. Sie hat die Briefe gefunden – und bleibt bei ihm. Sie stärkt ihm den Rücken. Hals über Kopf müssen sie eine Wohnung finden. Mit negativer Schufa. Irgendwie klappt es. Sie ziehen um. Als sie die letzten Sachen aus dem Haus abholen wollen, kommen sie nicht mehr rein. Das Schloss ist ausgetauscht worden. Die Firma ist kaputt, die Mitarbeiter längst entlassen.
In der Wohnung wird der Strom abgestellt. Das Telefon auch. Er leiht sich Geld von seiner Tochter. An der Tankstelle funktioniert seine EC-Karte nicht, weil kein Geld mehr da ist, das sich abbuchen ließe. Was soll er dem Mann hinter der Kasse sagen? Dass er bankrott ist? Nein. Er sagt: Das muss am Magnetstreifen liegen. Ich komme gleich wieder und bringe Ihnen das Geld. Er leiht es sich erneut bei seiner Tochter. Und geht nie wieder einkaufen, ohne ausreichend Bargeld dabei zu haben.
Probst fährt jetzt Lkw für einen Obsthändler. 70 Stunden die Woche. Beschweren kann er sich nicht. Was soll er schon machen? Nach einem knappen Jahr wacht er nach der Freitagabend-Schicht im Krankenhaus auf. Vor ihm stehen zwei Polizisten, die erzählen ihm, dass er einen Unfall gebaut hat. Er fragt: Habe ich jemanden totgefahren? Hat er nicht. In den drei Autos, die er mit seinem Laster geschrottet hat, saß zum Glück niemand drin.
Er fängt dann bei einer BauFirma an. Da fragt ihn niemand nach seiner Vergangenheit. Er fährt Lkw, steht im Graben, fährt Bagger. Er geht zur Arbeit, dort wird ihm gesagt, was er machen soll, und dann macht er das. Und ist froh, keine Verantwortung mehr zu tragen. Ein Teil seines Lohns wird gepfändet. Denn die Briefe kommen immer noch.
Seine Frau geht in die Privatinsolvenz. Probst selbst scheut sich noch davor. Es ist so komplex. Wird von seinem Lohn noch genug übrig bleiben? Wovon soll er leben? Aber dann trudeln haufenweise Vorladungen in seinem Briefkasten ein. Es geht jetzt nicht mehr. Und die Privatinsolvenz seiner Frau läuft reibungslos, obwohl er nichts von ihrem Rechtsanwalt hält. Er überwindet sich und füllt einen Insolvenzantrag aus. Das Gericht bestellt einen Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter. Bei dem fühlt er sich gut aufgehoben. Der macht auch die Insolvenz von Borussia Neunkirchen, dann muss der ja Ah- nung haben, denkt er sich.
Drei Monate später fühlt sich Probst, inzwischen etwa 60 Jahre alt, befreit. Das Verfahren läuft. Er muss jetzt nicht mehr dutzende Gläubiger hinhalten. Sein Anwalt ist der einzige, an den er sich wenden muss. Von seinem Lohn bleibt noch genug übrig, von der Rente seiner Frau auch. Sie können ihre Miete bezahlen. Ihren Strom. Die Tochter hat gerade geheiratet. Sie hat die ganze Zeit über immer zu ihm gehalten.
In Urlaub würde Karl Probst auch gern mal wieder fahren. Das letzte Mal war vor zwölf Jahren. Vielleicht dann, wenn sein Insolvenzverfahren in ein paar Jahren abgeschlossen ist. Und er schuldenfrei ist.
50 Mark war das Startkapital für die Firma von Karl Probst
Quelle: Eigene Angaben