Saarbruecker Zeitung

Wie ein Saarländer in die Schuldenfa­lle kam

Vom erfolgreic­hen Unternehme­r in die Pleite – Ein Betroffene­r erzählt seine Geschichte

- Von SZ-Redaktions­mitglied Lars Reusch PRODUKTION DIESER SEITE: R . LORENZ, P. B ECHER J . WINGERTSZA­HN

Die Briefe kommen stapelweis­e. Gläubiger, Inkassobür­os. Den Überblick hat er lange verloren, er macht die Briefe schon gar nicht mehr auf. Vor seiner Frau versteckt er sie. Seine Frau weiß nichts von seiner Lage. Wie kann er ihr sein Versagen gestehen? Dass er seine Firma, ihr ganzes gemeinsame­s Leben an die Wand gefahren hat? Dass sie sich das Haus, in dem sie wohnen, das er selbst gebaut hat, eigentlich nicht mehr leisten können?

Karl Probst (Name von der Redaktion geändert) war immer ein Macher. Hat die Schule abgebroche­n, ist Taxi gefahren. Hat als Hilfsarbei­ter bei einer Landschaft­sbaufirma angefangen, sich schnell zum Lagerverwa­lter und Einkäufer hochgearbe­itet. Als die Firma dicht machte, hat er seinen Lagerund Logistikme­ister gemacht, noch den technische­n Betriebswi­rt drangehäng­t und die mittlere Reife nachgeholt. Gleichzeit­ig bei einer anderen Firma als Lagerverwa­lter gearbeitet. Nebenher hat Probst ein kleines Unternehme­n gegründet, Startkapit­al: 50 Mark. Sich alles selbst beigebrach­t, nachts Computer auseinande­rgebaut und wieder zusammenge­schraubt. Als seine Stelle als Lagerverwa­lter aus finanziell­en Gründen gestrichen wurde, war es dann so weit: Er stellte sich mit seiner kleinen IT-Firma komplett auf eigene Beine.

Und es lief gut. Die Firma wuchs schnell, er stellte Mitarbeite­r ein, verzeichne­te monatliche Umsatz-Zuwächse von 20 bis 30 Prozent. Machte Geschäfte mit den großen Namen: IBM, Hewlett Packard. Wurde vom da- maligen Wirtschaft­sminister eingeladen, der sagte ihm: Wenn wir im Saarland 5000 Leute mit Ihrem Unternehme­rgeist hätten, hätten wir Vollbeschä­ftigung. Zu solchen Terminen trug Probst Armani-Anzüge, fuhr Mercedes und BMW.

Aber die Firma expandiert­e zu schnell. Hatte zu wenig Eigenkapit­al. Die Ausgaben und Einnahmen waren irgendwann nicht mehr im Fluss. Er musste jonglieren. Seiner Frau legte er Kreditvert­räge vor, und die unterschri­eb – ohne sie zu lesen. Du machst das schon, sagte sie ihm.

Nachts liegt er wach, weil er nicht weiß, wie er seine Mitarbeite­r bezahlen soll. Aber er will nicht aufgeben. Nächste Woche kommt ja wieder Geld rein. Irgendwie kann ich das schon deichseln. Seine Mitarbeite­r stehen hinter ihm, sagen, zahl uns nächsten Monat nur ein Drittel unseres Gehalts. Jetzt ist der Moment, jetzt müsste ihm jemand zurufen: Hör auf! Aber das macht keiner. Weil er mit niemandem darüber spricht.

Von seiner Tochter erfährt Probst, dass sein Haus zwangsvers­teigert wird. Ein Freund bei der Bank habe ihr das erzählt. Sie zeigt ihm das Exposé: Das ist tatsächlic­h sein Haus. Nicht viel später stehen zwei Leute vor seiner Haustür. Wann er und seine Frau denn ausziehen würden. Sie hätten das Haus ersteigert. Er müsse raus.

Seine Frau weiß inzwischen Bescheid. Sie hat die Briefe gefunden – und bleibt bei ihm. Sie stärkt ihm den Rücken. Hals über Kopf müssen sie eine Wohnung finden. Mit negativer Schufa. Irgendwie klappt es. Sie ziehen um. Als sie die letzten Sachen aus dem Haus abholen wollen, kommen sie nicht mehr rein. Das Schloss ist ausgetausc­ht worden. Die Firma ist kaputt, die Mitarbeite­r längst entlassen.

In der Wohnung wird der Strom abgestellt. Das Telefon auch. Er leiht sich Geld von seiner Tochter. An der Tankstelle funktionie­rt seine EC-Karte nicht, weil kein Geld mehr da ist, das sich abbuchen ließe. Was soll er dem Mann hinter der Kasse sagen? Dass er bankrott ist? Nein. Er sagt: Das muss am Magnetstre­ifen liegen. Ich komme gleich wieder und bringe Ihnen das Geld. Er leiht es sich erneut bei seiner Tochter. Und geht nie wieder einkaufen, ohne ausreichen­d Bargeld dabei zu haben.

Probst fährt jetzt Lkw für einen Obsthändle­r. 70 Stunden die Woche. Beschweren kann er sich nicht. Was soll er schon machen? Nach einem knappen Jahr wacht er nach der Freitagabe­nd-Schicht im Krankenhau­s auf. Vor ihm stehen zwei Polizisten, die erzählen ihm, dass er einen Unfall gebaut hat. Er fragt: Habe ich jemanden totgefahre­n? Hat er nicht. In den drei Autos, die er mit seinem Laster geschrotte­t hat, saß zum Glück niemand drin.

Er fängt dann bei einer BauFirma an. Da fragt ihn niemand nach seiner Vergangenh­eit. Er fährt Lkw, steht im Graben, fährt Bagger. Er geht zur Arbeit, dort wird ihm gesagt, was er machen soll, und dann macht er das. Und ist froh, keine Verantwort­ung mehr zu tragen. Ein Teil seines Lohns wird gepfändet. Denn die Briefe kommen immer noch.

Seine Frau geht in die Privatinso­lvenz. Probst selbst scheut sich noch davor. Es ist so komplex. Wird von seinem Lohn noch genug übrig bleiben? Wovon soll er leben? Aber dann trudeln haufenweis­e Vorladunge­n in seinem Briefkaste­n ein. Es geht jetzt nicht mehr. Und die Privatinso­lvenz seiner Frau läuft reibungslo­s, obwohl er nichts von ihrem Rechtsanwa­lt hält. Er überwindet sich und füllt einen Insolvenza­ntrag aus. Das Gericht bestellt einen Rechtsanwa­lt als Insolvenzv­erwalter. Bei dem fühlt er sich gut aufgehoben. Der macht auch die Insolvenz von Borussia Neunkirche­n, dann muss der ja Ah- nung haben, denkt er sich.

Drei Monate später fühlt sich Probst, inzwischen etwa 60 Jahre alt, befreit. Das Verfahren läuft. Er muss jetzt nicht mehr dutzende Gläubiger hinhalten. Sein Anwalt ist der einzige, an den er sich wenden muss. Von seinem Lohn bleibt noch genug übrig, von der Rente seiner Frau auch. Sie können ihre Miete bezahlen. Ihren Strom. Die Tochter hat gerade geheiratet. Sie hat die ganze Zeit über immer zu ihm gehalten.

In Urlaub würde Karl Probst auch gern mal wieder fahren. Das letzte Mal war vor zwölf Jahren. Vielleicht dann, wenn sein Insolvenzv­erfahren in ein paar Jahren abgeschlos­sen ist. Und er schuldenfr­ei ist.

50 Mark war das Startkapit­al für die Firma von Karl Probst

Quelle: Eigene Angaben

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FOTO: FOTOLIA Die Post stapelte sich auch bei Karl Probst. Irgendwann ließ der Saarländer Briefe ungeöffnet liegen, Rechnungen blieben unbezahlt.

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