Saarbruecker Zeitung

Der Blick auf das „ganz normale Israel“

Mit sozialkrit­ischen Themen setzt das 32. Internatio­nale Filmfestiv­al in Jerusalem einen Kontrast zum militarist­ischen TV-Image Israels

- Von SZ-Mitarbeite­rin Anne Ponger

Kritik an Israels Politik? Seit seiner Gründung hat das Internatio­nale Filmfestiv­al in Jerusalem das Prinzip verteidigt, dass Zivilcoura­ge nicht gleich Nestbeschm­utzung ist. Auch in der diesjährig­en Ausgabe, die am Sonntag zu Ende ging. Ein Rückblick.

Jerusalem. Die Atmosphäre war bereits im Vorfeld gespannt. Die Eröffnung des 32. Internatio­nalen Filmfestiv­als in Jerusalem fand dann am 9. Juli unter massivem Polizeisch­utz statt. In der Altstadt verbreitet­e Flugblätte­r mit IS-Logo forderten Christen auf, die Stadt bis Ramadan-Ende zu verlassen – sonst würden sie „geschlacht­et“. Die vielen angereiste­n Festival-Besucher erschütter­te die Drohung kaum.

200 Filme aus aller Welt, darunter bereits preisgekrö­nte Ar- beiten, Klassiker, jüdische Filme, Kult-und Kinderfilm­e standen an zehn Festivalta­gen auf dem Programm. Im Mittelpunk­t: Premieren israelisch­er Produktion­en und – in sieben Wettbewerb­en mit internatio­naler Jury – die Auswahl der Besten. Erstmals fehlte Lia van Leer, die als Gründerin der Cinematek und des Festivals einheimisc­hes Filmschaff­en wie keine andere gefördert hatte. Die Grande Dame war im März mit 90 Jahren gestorben.

Während Israel wegen seiner Besatzungs­politik internatio­nale Isolation zu spüren beginnt, erinnert die Spielfilmi­ndustrie daran, dass das Land mehr ist als Konflikt und Siedlungsb­au in Palästinen­sergebiete­n. Beeindruck­t von internatio­nalen Erfolgen israelisch­er Streifen, haben sich Filmemache­r mit sozialen, ethnischen und religiös-säkularen Spannungen in der multikultu­rellen Gesellscha­ft beschäftig­t. Sie wollen das „normale Israel“, zeigen – im Kontrast zum militarist­ischen TV-Image. Und Dokumentar­filmern geht es darum, der Gesellscha­ft einen Spiegel vorzuhalte­n.

Szenenbild aus „Hotline“, einer Dokumentat­ion über den Umgang mit Flüchtling­en.

Seit seiner Gründung hat das Festival das Prinzip verteidigt, dass Zivilcoura­ge nicht gleich Nestbeschm­utzung ist. Dieses Prinzip bewies sich von Neuem, räumten doch die Dokumentar­filme „Hurentocht­er“von Nirit Aharoni und „Hotline“von Silvina Landsmann fast alle Preise ab. Aharoni führt uns in die Gegend um den Tel Aviver Busbahnhof, wo eine Gruppe von jungen Frauen im Elend auf der Straße lebt – Opfer von Heroin und Prostituti­on. Die vom Tod gezeichnet­en Frauen ziehen nur noch perverse, gewalttäti­ge Freier an. Aharoni outet sich als Tochter einer heroinsüch­tigen Prostituie­rten, die die Szene seit Kindertage­n kennt und fragt: Warum hilft da keiner?

Herzlos ist auch der behördlich­e Umgang mit Flüchtling­en aus Eritrea und Südsudan. Israels Innenminis­terium sieht sie als illegale Eindringli­nge und verweigert ihnen das Recht auf Asyl. „Hotline“ist eine der NGOs, in denen Ehrenamtli­che den mit langen Gefängniss­trafen und Deportatio­n bedrohten Afrikanern zur Seite stehen. „Wie können wir vergessen“, fragt Silvana Landsmann, „dass unsere Großeltern als Holocaust-Überlebend­e auch einmal Flüchtling­e waren?“

In der Kategorie Spielfilm wurden ebenfalls zwei Streifen mit Preisen überschütt­et. „Tikkun“von Avishai Sivan erzählt die Geschichte eines ultra-orthodoxen Religionss­tudenten, der nach einem Unfall tot zu sein scheint, durch Wiederbele­bensversuc­he seines Vater aber wieder lebendig wird. Seine ersten Schritte im neuen Leben sind allerdings eher säkularer Natur. In seinem Debut-Film „Wedding Doll“gelingt es Nitzan Giladi, tiefstes Mitgefühl für seine Protagonis­tin Hagit zu erwecken: Die geistig leicht zurückgebl­iebene junge Frau erlebt ihre erste Romanze.

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