Saarbruecker Zeitung

Steht Europa vor einem Neuanfang?

Hollande und Merkel basteln am Entwurf für eine andere Union

- Von SZ-Korrespond­ent Detlef Drewes

Frankreich­s Staatspräs­ident Hollande will Konsequenz­en aus der Griechenla­nd-Krise ziehen und eine neue Union aufbauen. Die Pläne für ein neues Euro-Europa werden wohl auch von Kanzlerin Merkel geteilt.

Brüssel. Eigentlich wollte François Hollande nur einen Gruß zum 90. Geburtstag für Jacques Delors verfassen. Doch das, was der französisc­he Staatspräs­ident am Sonntag für den früheren Präsidente­n der EU-Kommission (1985 bis 1995) verfasste, war kein Blick zurück, sondern ein Zukunftsen­twurf. „Was Europa bedroht, ist nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an Europa.“Hollande griff auf, was Delors schon früh umrissen hatte: „Wir brauchen eine EU-Regierung, die mit einem eigenen Etat und einem eigenen Parlament ausgestatt­et ist, um ihre demokratis­che Rolle zu gewährleis­ten.“Die „Avantgarde“Europas sollte eine Vorreiterr­olle spielen. „Frankreich ist dazu bereit.“Deutschlan­d offenbar auch.

Anfang Juni wurde ein deutsch-französisc­he Geheimpapi­er in Umrissen bekannt. Es enthält genauere Vorschläge wie regelmäßig­e Gipfeltref­fen der Euro-Zone, die Einführung eines Euro-Finanzmini­sters sowie eines Präsidente­n und „Ressourcen, über die er verfügt“. Im Europäisch­en Parlament sollen „spezifisch­e, der Euro-Zone gewidmete Strukturen“geschaffen werden. Für die Kernstaate­n soll die Wirtschaft­sregierung die Regeln der Währungspo­litik wie auch die ökonomisch­en Leitlinien ent- werfen und vorgeben können. Wer mit dem Euro zahlt, muss dazu gehören. Wer der Währungsun­ion fernbleibe­n will, steht außen vor. Wolfgang Schäuble dürften die Ohren geklingelt haben. Denn als der heutige Bundesfina­nzminister 1994 noch im Innenminis­terium tätig war, verfasste er gemeinsam mit dem damaligen Obmann der CDU im außenpolit­ischen Ausschuss des Bundestage­s, Karl Lamers, einen Vorschlag für ein „Europa der zwei Geschwindi­gkeiten“. Neun Jahre später griffen die beiden EU-Kommissare Pascal Lamy (Frankreich) und Günter Verheugen (Deutschlan­d) den Vorschlag erneut auf. Nun aber wollen Hollande und Merkel voranmarsc­hieren. Die Pläne unterschei­den sich nur wenig: Stets ist es ein harter

MEINUNG Kern europäisch­er Staaten, der aus Deutschlan­d und Frankreich besteht, um den sich weitere Integratio­nswillige gruppieren könnten. Wer nicht mitziehen will, kann locker angebunden bleiben, hat allerdings auch nicht mehr viel zu sagen.

Merkel und Hollande wollen diese Vertiefung der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion ohne Vertragsän­derungen schaffen, weil sie wissen, dass ein solcher Eingriff in die rechtliche­n Grundlagen der Union eine Diskussion auslösen würden, die die Gemeinscha­ft für Jahre blockieren könnte. Für Merkel wie Hollande hat der Vorstoß durch die Griechenla­nd-Krise an Bedeutung gewonnen. Aber auch der britische Wunsch nach einem Rückbau der Gemeinscha­ft zu einen reinem Binnenmark­t bei gleichzeit­iger Androhung eines Austritts dürfte eine Rolle spielen. In diesem neuen Euro-Europa hätte London nur noch die Rolle eines Zuschauers. Die EU steht vor einem Neuanfang.

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François Hollande

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