Saarbruecker Zeitung

Grausiger Fund setzt Gerüchten ein Ende

In Straßburg wurden Leichentei­le aus Experiment­en eines NS-Arztes entdeckt

- Von SZ-Mitarbeite­r Jürgen Lorey

86 Häftlinge des elsässisch­en KZ Struthof wurden 1943 umgebracht, weil der Anatomiepr­ofessor August Hirt ein „Museum der verschwund­enen jüdischen Rasse“plante. Reste dieser Opfer wurden 70 Jahre lang in der Rechtsmedi­zin in Straßburg verwahrt und erst jetzt entdeckt.

Straßburg. Der grausige Fund im rechtsmedi­zinischen Institut der Straßburge­r Universitä­t setzt einem jahrzehnte­langen Streit ein Ende: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es Gerüchte, wonach irgendwo in der Gerichtsme­dizin immer noch Leichentei­le von jüdischen Opfern des NSArztes August Hirt in Glasgefäße­n konservier­t seien. Der Anatomiepr­ofessor lehrte von 1941 bis 1944 an der „Reichsuniv­ersität Straßburg“, die nach der Annexion des Elsass durch NaziDeutsc­hland 1941 neu gegründet worden war.

Der SS- Offizier Hirt forschte mit menschlich­em Gewebe und betrieb grausige Experiment­e für die Entwicklun­g eines Fleckfiebe­rimpfstoff­s und mit Senfgas, bei denen Probanden der flüssige Kampfstoff injiziert wurde. Sie erlitten daraufhin Brandwunde­n und quälten sich tagelang unter heftigsten Schmerzen. 1943 ließ Hirt für die Skelettsam­mlung ei- nes geplanten „Museums der verschwund­enen jüdischen Rasse“86 KZ-Häftlinge aus Auschwitz ins Lager Struthof bringen und ermorden.

In einem Raum des ehemaligen gerichtsme­dizinische­n Museums fand nun der Arzt und Historiker Raphaël Toledano zusammen mit dem Direktor des gerichtsme­dizinische­n Instituts, Jean-Sébastien Raul, am 9. Juli einige sterbliche Überreste dieser KZ-Häftlinge. Deren teilweise zerstückel­te Leichen waren im November 1944 nach der Befreiung Straß- burgs durch die Alliierten im Keller des Anatomie-Institutes gefunden worden und ein Jahr später in einem Sammelgrab auf dem jüdischen Friedhof in Straßburg beigesetzt worden.

Toledano und Raul entdeckten ein Glasgefäß, das Hautreste eines Gaskammer- Opfers enthält, sowie zwei Reagenzglä­ser, in denen der Mageninhal­t – Kartoffels­chalen – eines weiteren Opfers eingeschlo­ssen ist. Der Inhalt der Reagenzglä­ser war nach Angaben Toledanos mit der Nummer 107969 etikettier­t, die der Auschwitz-Häftling Menachem Taffel auf den Unterarm tätowiert bekommen hatte. Auf dem Etikett mit den Hautfragme­nten stand: „Struthof-Expertise 1945. Spuren brutaler Prügelstra­fe. Hautfragme­nte mit tiefen Bluteinsic­kerungen, einem in Struthof gequältem Körper entnommen, der auf Befehl von Professor Hirt (...) im August 1943 in einer Gaskammer ermordet wurde“. Gutachten sollen nun die Identität dieses Opfers bestimmen.

Die jetzt gefundenen Überreste wurden nach Angaben der Stadt Straßburg nicht auf Befehl des SS-Arztes Hirt konservier­t, sondern um die in Struthof begangenen Verbrechen zu dokumentie­ren. Lange Zeit war bezweifelt worden, dass die Leichentei­le in der Universitä­t aufbewahrt wurden. „Mir haben betagte Mediziner erzählt, sie hätten die Gefäße während ihrer Ausbildung gesehen, es gab aber keine Beweise“, sagt Toledano. Noch vor einigen Monaten hatte die Universitä­tsleitung die Existenz der Leichentei­le bestritten.

Neue Nahrung erhielt der Streit Anfang des Jahres, als der Arzt und TV-Journalist Michel Cymès ein Buch mit dem Titel „Hippocrate aux enfers“(Hippokrate­s in der Hölle) über die medizinisc­hen Experiment der Nazis veröffentl­ichte. Darin zitierte er Aussagen, die die Aufbewahru­ng der Leichentei­le im Institut bezeugten. Den letzten unumstößli­chen Beweis fand Toledano dann vor einigen Monaten: Er stieß auf einen Brief des Straßburge­r Gerichtsme­diziners Camille Simonin von 1952, der nach der Befreiung von Straßburg Hirts Verbrechen untersuche­n sollte und die Leichentei­le aufbewahrt­e. In dem Brief hatte Simonin Proben erwähnt, die bei Autopsien jüdischer Opfer aus dem KZ Struthof entnommen worden waren. Sie sollen nun der jüdischen Gemeinde übergeben und auf dem jüdischen Friedhof in Cronenbour­g beigesetzt werden.

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FOTO: AFP Die Gaskammer auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrat­ionslagers Natzwiller-Struthof im Elsass.

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