Pina Bauschs Erbe lebt weiter
Berühmte Wuppertaler Compagnie wagt den Neuanfang und tanzt neue Stücke
Vor sechs Jahren starb die legendäre Wuppertaler Tanzkünstlerin Pina Bausch. Nach einer langen Zeit der Trauer führt Bauschs Compagnie im September erstmals neue Stücke von vier internationalen Choreografen auf.
Wuppertal. Pina machte alles anders. In ihren Choreografien lachen die Tänzer, sie weinen, sie reden. Manche sind jung und einige schon über 50 oder 60 Jahre alt. In anderen Ensembles wäre das unmöglich. Mit ihrem grenzüberschreitenden Ansatz zwischen Tanz, Theater und Kunst revolutionierte Pina Bausch in den 70er Jahren die Tanzwelt – und erschütterte anfangs die Zuschauer. Vor sechs Jahren, Ende Juni 2009, starb die große Choreographin an Krebs. Am 27. Juli wäre sie 75 Jahre geworden. Pinas Compagnie hat eine lange Zeit der Trauer hinter sich gelassen und wagt in diesem Herbst den Neuanfang.
Seit 1973 war die gebürtige Solingerin Direktorin des Tanztheaters Wuppertal, wo bis zu ihrem Tod gut 40 Stücke entstanden. Mit diesem Repertoire, darunter berühmte Choreografien wie „Café Müller“, „Das Frühlingsopfer“oder „Kontakthof“, tourt das Tanztheater seit ihrem Tod mit großem Erfolg um die Welt. Wim Wenders setzte mit seinem Oscar-nominierten 3DFilm „Pina“der Tanzkünstlerin mit dem strengen Zopf ein Denkmal.
Doch das Wuppertaler Tanztheater soll nicht zu einem Mu-
Ein Foto von Pina Bausch aus dem Jahr 2009.
seum erstarren – und das PinaErbe nicht zum Ballast werden. Deshalb leitet ein dreiköpfiges Beratungsgremium den behutsamen Neuanfang ein. Schon dass man sich Expertise von außen verordnet, war ein großer Schritt für den eingeschworenen PinaClan. Erstmals wird das 35-köpfige Ensemble am 18. September eine Uraufführung mit neuen Stücken von vier internationalen Choreografen tanzen. „Wir sind eine lebendige Compagnie, der Wandel gehört dazu“, sagte Lutz Förster, einer von Pinas Tänzern der ersten Stunde, der seit 2013 die Compagnie leitet.
An dem Zukunftsplan schreibt auch der Leiter des Tanzzentrums PACT Zollverein, Stefan Hilterhaus, mit. Pina und er kannten sich lange Jahre auch aus verschiedenen Projekten. „Pina Bausch und ihre Tänzer veränderten die Tanzwelt radikal, weil sie nicht nach Formen suchten, sondern auf der Bühne detailliert, humorvoll und erschütternd freilegten, was den Menschen in allen Facetten aus- macht“, sagt Hilterhaus.
„Pina brauchte kein Libretto und kein abgesichertes Konzept, sie stärkte und vertraute den Menschen, mit denen und für die sie arbeitete.“Nicht nur der Tanz, sondern auch andere Bühnenkünste, Film, Literatur und sogar die Mode seien einst fasziniert gewesen „von diesem unbeschwerten Umgang mit künstlerischen Mitteln, mit dieser Wucht und Direktheit, der Vielschichtigkeit und Poesie, und der daraus entstehenden Freiheit“.
Wenn man heute sieht, wie Karten für Aufführungen der Compagnie in kurzer Zeit ausverkauft sind, vergisst man leicht, wie hart der Anfang war. 1973/74 wurde die damals 33-jährige Solinger Gastwirtstochter, die an der Essener Folkwang-Hochschule und der Juilliard School in New York ausgebildet wurde, als Choreografin in Wuppertal verpflichtet. „Das war zum Teil der nackte Wahnsinn, was sich da abgespielt hat. Ganze Familien haben sich im Zuschauerraum zerstritten“, erinnerte sich die langjährige Kostümbildnerin Marion Cito an den Beginn. Pina bekam Schmähanrufe und wurde angefeindet.
Heute ist die Begeisterung für Pina Bausches Werk ungebrochen. Kommendes Jahr wird erstmals das Bayerische Staatsballett in München ein Stück von ihr aufführen. Insgesamt sind seit 2012 elf neue Tänzer dazugestoßen. 1200 Tänzer hatten sich zuletzt beworben. Die Pina Bausch-Stiftung legt derzeit ein digitales Archiv an, damit die Stücke auch in Zukunft aufgeführt werden können.