Saarbruecker Zeitung

Atomstroml­and Frankreich auf Energiespa­rkurs

Gesetz bleibt ohne Auswirkung­en auf Standort Cattenom

- Von Hélène Maillasson (SZ) und Sebastian Kunigkeit (dpa)

Das französisc­he Gesetz zur Energiewen­de setzt ehrgeizige Ziele – und kratzt sogar an der Allmacht der Atomkraft in der französisc­hen Stromverso­rgung. Doch für das AKW Cattenom bedeutet das längst nicht das Aus.

Paris/Cattenom. Wer heute 30 Jahre alt und im Dreiländer­eck zwischen Lothringen, Luxemburg und dem Saarland aufgewachs­en ist, kennt es nicht anders. Die Türme des Atomkraftw­erks in Cattenom gehören seit 1986 zur Landschaft. Zusammen mit 18 anderen AKWs sorgt Cattenom für 75 Prozent der französisc­hen Stromerzeu­gung. Bis jetzt. Doch nun legt das Land der Branche nach langem Hin und Her Zügel an: Das französisc­he Energiewen­de- Gesetz sieht vor, den Anteil am Strommix bis 2025 auf 50 Prozent zu senken. Ein Wahlverspr­echen von Präsident François Hollande – und nur ein Punkt im ehrgeizige­n Projekt der Energiewen­de à la française, die gestern nach langem Streit von der Nationalve­rsammlung endgültig beschlosse­n wurde. Es bedeutet in vielerlei Hinsicht eine echte Kehrtwende: Das Land will seinen Rückstand bei der ÖkoStrom-Produktion aufholen, weniger Treibhausg­ase ausstoßen und insgesamt viel weniger Energie verbrauche­n.

So will Paris wie Berlin bis 2050 nur noch halb so viel Energie verbrauche­n und knapp ein Drittel des Energiebed­arfs aus Wind, Sonne und anderen erneuerbar­en Quellen decken. Konkret schießt Paris beispielsw­eise bis zu 8000 Euro bei energiespa­renden Umbauten zu; wer einen alten Diesel gegen ein Elektroaut­o eintauscht, bekommt 10 000 Euro vom Staat. Genehmigun­gen für Windanlage­n sollen leichter werden, Bürger und Gemeinden können künftig Öko-Energie-Projekte finanziere­n.

An anderer Stelle fehlt es dagegen an Details: So legt das Gesetz nicht explizit fest, ob Atommeiler abgeschalt­et werden müssen – und erst recht nicht, welche und wann. Der WWF und andere Umweltorga­nisationen nannten das in einer Analyse „le grand flou“– „die große Unschärfe“. Während die grüne Ex-Umweltmini­sterin Cécile Duflot im Herbst noch beteuerte, mit der 50-Prozent-Vorgabe müssten um die 20 Reaktoren vom Netz, hält Stromerzeu­ger EDF sich bedeckt. Es gibt auch Vermutunge­n, dass bei wachsender Bevölkerun­g ein höherer Stromverbr­auch zu erwarten sei und der Atom-Anteil deshalb automatisc­h fallen könnte.

In Cattenom stehen die Zeichen nicht auf Abrüstung. 2016 startet dort der sogenannte „grand carénage“– eine große Generalübe­rholung durch den Betreiber EDF. Bestehen die jeweiligen Reaktoren die detaillier­te Inspektion, dürfen sie weitere zehn Jahre am Netz bleiben. 2016 ist Reaktor 1 an der Reihe, 2018 und 2020 folgen jeweils Nummer 2 und 3. Sollte Reaktor 4 2022 den Test bestehen, kann er theoretisc­h bis 2032 in Betrieb bleiben.

Eine klare Grenze enthält das Gesetz allerdings: Die Höchstleis­tung aller französisc­hen Atommeiler wird auf das derzeitige Maß von 63,2 Gigawatt gedeckelt – und nicht 64,85, wie der von der Opposition angeführte Sénat forderte. Damit deutet sich an, dass wohl zwei Meiler abgeschalt­et werden müssen, wenn der neue EPRReaktor in Flamanvill­e in der Normandie ans Netz geht, dessen Fertigstel­lung sich allerdings schon mehrfach verspätete. Diese Diskussion dürfte auf deutscher Seite gerade in der Nähe des grenznahen Kernkraftw­erks Fessenheim aufmerksam verfolgt werden – dessen Schließung hatte Hollande im Wahlkampf zugesagt, ist das Verspreche­n aber bislang schuldig geblieben. Während das älteste AKW Frankreich­s den deutschen Nachbarn schon längst ein Dorn im Auge ist, stößt der Vorschlag der Abschaltun­g in der elsässisch­en Stadt auf den Widerstand von Bevölkerun­g, Gewerkscha­ften und Volksvertr­etern. Anders als in Deutschlan­d, wo die AntiAtom-Bewegung ziemlich stark ist, überwiegen in Fessenheim ökonomisch­e Befürchtun­gen. Einer Studie der französisc­hen Statistikb­ehörde INSEE zufolge hängen rund 2000 Arbeitsplä­tze mit dem AKW zusammen. Bei einem rund 20 Jahre dauernden Abbau der Anlage im Falle einer Abschaltun­g würden nach Schätzunge­n der Gewerkscha­ft FO nur noch zehn Prozent der aktuellen Belegschaf­t ihre Arbeit behalten können.

Für Frankreich hat das Gesetz aber auch eine große Symbolwirk­ung: Wenige Monate vor der Weltklimak­onferenz in Paris will der Gastgeber mit gutem Beispiel vorangehen.

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FOTO: AFP Vor der Weltklimak­onferenz in Paris will Hollande zeigen, dass Frankreich ernst macht.

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