Scham und Sommermärchen
Vor ein paar Tagen hatte ich einen dieser wunderbaren Sommerabende, wie sie so typisch sind fürs Nauwieser Viertel. Wir saßen am Ophüls-Platz, das Essen war lecker, der Abend lau. Auf dem Spielplatz buddelten ein paar Kinder, die wahrscheinlich aus ihren zu warmen Betten geflohen waren. Und ich beobachtete all das, wofür ich Saarbrücken so liebe. Zwei Tische neben uns saß ein FreundinnenPärchen. Beide jung und schick. Die eine trug Kopftuch. Die andere war Asiatin. Die beiden redeten angeregt und kicherten viel. Wie es beste Freundinnen halt so tun – egal, ob sie aus dem Saarland, aus Syrien oder aus Schanghai kommen. Im Restaurant nebenan beobachtete ich eine bunte Gruppe junger Leute, ein schwarzer Junge, ein weißes Mädchen, zwei eher helle Jungs und ein Mädchen mit beneidenswertem Cappuccino-Teint. Alle quatschten und schauten dabei dauernd auf ihre Handys – also alles ganz normal.
Als wir eine Weile saßen, kamen meine Lieblings-Straßenmusiker vorbei. Sie spielen wunderbar süffigen Swing-Jazz, und der Geiger ist ein echter Virtuose. Ich tippe mal, dass er ursprünglich aus Rumänien kommt. Vielleicht auch aus Bulgarien. Auf jeden Fall aus dem Weltreich der guten Musiker.
Kaum waren die beiden abgezogen, trat einer der Saarbrücker Rosenverkäufer an unseren Tisch. Er ist ein freundlicher, netter Mann. Und er erzählte mit leuchtenden Augen, dass er nach über zehn Jahren jetzt das erste Mal wieder nach Pakistan fliegen werde, um mit seiner Familie das Zuckerfest zu feiern. Jetzt haben wir, nach meiner Rechnung, schon mindestens sechs Nationalitäten zusammen. Auf etwa 200 Quadratmetern.
Während ich dieses wunderbare, tolerante und friedliche Miteinander so betrachtete, musste ich leider an Freital denken. Und an all die anderen Orte, an denen Menschen mit kalten Herzen vor Flüchtlingsunterkünften stehen und unsägliche Parolen skandieren. Jedes Mal, wenn ich von solchen Demos, von Brandanschlägen und Drohungen höre, schäme ich mich für mein Land. Ich schäme mich dafür, dass es in Teilen Deutschlands wieder möglich ist, sich ungeniert und ungestraft gegen Schwache zu stellen, sich von Vorurteilen und Hass leiten zu lassen. Und ich schäme mich, wie unsere Politiker diese braunen Brandstifter als Asylgegner verharmlosen, statt deutlich zu sagen, was sie sind: Rassisten. Ich verstehe nicht, dass kaum einer unserer gewählten „Volksvertreter“Tacheles redet und klar sagt, dass diese brüllenden Barbaren alles zerstören, was in Jahrzehnten aufgebaut wurde. Sie verschmieren mit brauner Farbe das schöne bunte Bild, das die Welt spätestens seit der Fußball-WM von Deutschland hatte, damals als die Welt hier noch zu Gast bei Freunden war.
Im Saarland, finde ich, haben wir uns noch etwas von dieser Sommermärchen-Stimmung bewahrt. Vielleicht weil wir hier ja immer schon daran gewöhnt waren, dass „Fremde“kamen, die irgendwann zu Kollegen in der Grube wurden. Oder weil wir selbst öfter mal die Nationalität wechseln mussten und wissen, dass die nichts über den Menschen aussagt. Woran auch immer es liegt: Mich macht es stolz, dass bei uns 10 000 Leute gegen Pegida auf die Straße gingen. Dass es hier so viele Initiativen gibt, die sich um Flüchtlinge kümmern. Und dass eben im Nauwieser Viertel an einem Sommerabend Menschen aller Kontinente zusammenkommen können. Und jeder kann sich zuhause fühlen.