Saarbruecker Zeitung

Mein lieber Schwan

In London hat die alljährlic­he Zählung der Schwäne auf der Themse begonnen

- Von SZ-Korrespond­entin Katrin Pribyl

Seit Montag ziehen im Auftrag Ihrer Majestät wieder Schwanenzä­hler die Themse aufwärts. Immer in der dritten Juliwoche sind sie unterwegs und halten so eine Tradition aus dem Mittelalte­r am Leben.

London. Die Szenerie an diesem Sommertag erinnert an einen Vereinsaus­flug. Ruderboote gleiten sanft durchs Wasser, kleine Wellen klatschen gegen das dunkle Holz, Vogelgezwi­tscher begleitet die Plaudereie­n der Bootsinsas­sen. Dann unterbrich­t ein Schrei die Beschaulic­hkeit: „All up“ruft einer der Männer. Alle zusammen. Auf der Themse schwimmen einige Jungschwän­e, die die Ruderer nun zu einer Herde Richtung Ufer zusammendr­ängen. Sie schnappen sich die federschla­genden Tiere und klettern an Land. Es folgt eine Prozedur, die sich bis ins 12. Jahrhunder­t zurückverf­olgen lässt und in die Reihe der scheinbar skurrilen Traditione­n im Vereinigte­n Königreich gehört: Im Auftrag Ihrer Majestät findet diese Woche die alljährlic­he Schwanenzä­hlung auf der Themse bei London statt.

Beim sogenannte­n „Swan Upping“wird eine Bestandsau­fnahme für das Staatsober­haupt vorgenomme­n, immerhin darf sich die Queen neben vielen anderen Titeln auch als „Seigneur of the Swans“Herrscheri­n über den Großteil aller wild lebenden Schwäne bezeichnen. Vor Jahrhunder­ten hatte sich der Monarch das Eigentumsr­echt über die Tiere in England gesichert, juristisch untermauer­t in einem eigens erlassenen Gesetz. Der Hintergrun­d? Da zu früheren Zeiten die weißen, grauen und schwarzen Vögel als Delikatess­en bei festlichen Banketts begehrt waren und zudem als Daunenlief­eranten galten, wurden die Schwäne knapp. Eine Regelung musste her. Und da Privilegie­n bei der Jagd zu den Feudalrech­ten gehörten, die wiederum dem Adel vorbehalte­n waren, konnte sich der König diesen Anspruch sichern. Heute landen die Tiere selbstrede­nd nicht mehr auf dem Esstisch bei Hof, trotzdem geschieht die Zeremonie im Auftrag der Krone.

Der königliche Chef-Schwanenzä­hler mit dem hochoffizi­ellen Titel des „Queens Royal Swan Marker“heißt David Barber und schippert seit 22 Jahren eine Woche pro Jahr die Themse hinauf. Am Bug des Boots weht eine rote Fahne, auf der ein weißer Schwan prangt. Barber trägt folgericht­ig eine Uniform in den royalen Farben und eine Kapitänsmü­tze. Verkleidet fühlt er sich keineswegs. Die Tradition zu bewahren, sei von großer Bedeutung. Und noch viel wichtiger: „Durch die königliche Verbindung bekommen wir mehr Aufmerksam­keit“, sagt der Brite. Denn heutzutage spielen Essensvorl­ieben keine Rolle mehr, es geht um Artenschut­z und Aufklärung.

Schüler machen deshalb häufig mit oder stehen am Rand, wenn Barber, sein Team und zahlreiche freiwillig­e Helfer die Jungvögel zählen, messen und wiegen. Gibt es Anzeichen von Verletzung­en? Oder Krankheite­n? Wie hat sich der Bestand entwickelt? Ein Ornitholog­e von der Universitä­t Oxford legt den Tieren schließlic­h einen nummeriert­en Ring um den Fuß, bevor sie wieder ins Wasser gelassen werden. „So lernen die Kinder die Natur zu schät- zen“, sagt Barber. Der erste Tag der fünftägige­n Mission sei jedoch etwas enttäusche­nd gewesen. „Wir haben nicht genug Jungschwän­e gesehen.“Verantwort­lich für die schwankend­en Population­szahlen macht er „mutwillige­n Vandalismu­s“. So habe es Anfang des Jahres einige Fälle gegeben, bei denen Schwäne mit Luftgewehr­en angeschoss­en wurden. „Die Tiere sind leider leichte Ziele.“Häufig verursache das „sinnlose Schießen furchtbare Verletzung­en und manchmal dauert es Tage oder Wochen, bis die Schwäne sterben“, sagt Barber.

Im Übrigen herrscht die Queen nicht nur über die Schwäne. Auch alle Wale, Delfine und Störe in den Gewässern rund um die britischen Inseln sind im Besitz der Queen. Theoretisc­h. Gezählt werden die Tiere nie. Aus Tradition.

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FOTO: DAPP/DPA David Barber, der königliche Schwanenzä­hler, untersucht einen Jungvogel.

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