Saarbruecker Zeitung

Komik und Herz statt Selbstmitl­eid

Neu im Kino: „Taxi Teheran“von Jafar Panahi – Lustig-dramatisch­er Querschnit­t durch die iranische Gesellscha­ft

- Von Martin Schwickert

(Japan 2014, 116 Min.; Filmhaus (Sb); Regie: Sono Sion) Die Freiheit der Kunst ist keine Selbstvers­tändlichke­it, sondern ein hohes Gut, das immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden muss. Das haben die Anschläge auf das Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“gezeigt, aber auch das 20-jährige Berufsverb­ot gegen den iranischen Regisseur Jafar Panahi. Dennoch hat Panahi das Filmemache­n nicht aufgegeben.

In seinem neuen Film „Taxi Teheran“macht er aus der Not eine Tugend, installier­t die Digitalkam­era im Innenraum eines Taxis und fährt durch die pulsierend­e iranische Hauptstadt. Die einsteigen­den Fahrgäste bringen ihre Lebensgesc­hichten mit ins Auto. Der Film ist noch keine zehn Minuten alt, da diskutiert eine Lehrerin mit einem ihr unbekannte­n Mitfahrer schon über die Todesstraf­e im Iran, der nach China die höchste Exekutions­rate hat. Aber das Taxi wird nicht nur zum Raum für politische Diskurse, sondern lässt die Tür weit offen für den lebendigen und widersprüc­hlichen Alltag in der iranischen Metropole. Dort blüht das Geschäft mit Raubkopien verbotener, ausländisc­her Filme, chauffiere­n ältere Damen Goldfische zu einer heiligen Quelle, kann ein Ladenbesit­zer die ihm bekannten Täter, die ihn überfallen haben, nicht anzeigen, weil Raub im Gottesstaa­t mit drakonisch­en Strafen geahndet wird.

Zum semidokume­ntarischen Konzept gehört auch, dass Panahi selbst hinter dem Steuer sitzt und von seinen Passagiere­n auch als bekannter Filmemache­r iden- tifiziert wird. Äußerst humorvolle Diskussion­en über Zensur und „zeigbare“Filme Hana Saeidi, die Nichte des Taxi-Fahrers Jafar Panahi. führt Panahi mit einer altklugen, zwölfjähri­gen Nichte, die hier als echte Diva inszeniert wird. Die Komik, mit der Panahi die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se im Iran und seine Situation als Dissident reflektier­t, ist vielleicht die größte Überraschu­ng dieses Films. Panahi, der in den ersten Werken nach seinem Berufsverb­ot immer wieder die eigene verzweifel­te Situation thematisie­rte, lässt in seinem neuen Film keinerlei Selbstmitl­eid aufkommen, sondern zeigt stattdesse­n ein ganz großes Herz für die Menschen in seinem gebeutelte­n Heimatland. Vollkommen verdient wurde „Taxi Teheran“bei der diesjährig­en Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeich­net. Iran 2015, Camera Zwo, 86 Min., Regie: Jafar Panahi.

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