Saarbruecker Zeitung

Was Behinderte am St. Johanner Markt stört

Behinderte­nvertreter und Künstler präsentier­en Plan für die Kaltenbach­straße

- Von SZ-Redakteur Peter Wagner Paul Schneider

Die Kaltenbach­straße am St. Johanner Markt, seit über zwei Jahren Baustelle, soll wieder ihr Kopfsteinp­flaster erhalten. Ein schönes, dem nichts fehlt, was das alte hatte, und das dennoch auch Menschen mit Handicap einen schmerzfre­ien Aufenthalt ermöglicht. Weil die Straße richtig barrierefr­ei sein soll und nicht nur ein bisschen.

Saarbrücke­n. Der St. Johanner Markt und sein Kopfsteinp­flaster, da sind sich wohl alle Saarbrücke­r einig, gehören untrennbar zusammen. Das Fortbewege­n auf den Steinen und ihre Sauberhalt­ung mit Kehrbesen mag beschwerli­ch sein, aber der Platz und seine Nebengasse­n beziehen ihr Flair maßgeblich aus dem Naturstein. Mit der vor zweieinhal­b Jahren begonnenen und unerwartet zäh verlaufend­en Sanierung der Kaltenbach­straße, die immer noch als Flickstück-Provisoriu­m daliegt, ist ein Verdacht aufgekomme­n: Um der

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„Behinderte­ngerechtig­keit“willen werde das einstmals schöne Pflaster, das eingelager­t und ein denkmalges­chütztes Kunstwerk gewesen sei, zugunsten einer Asphaltdec­ke geopfert, und dahinter stecke die Lobby der Behinderte­n-Interessen­vertreter. Ein Vorwurf, den Dunja Fuhrmann, die Gesamtbehi­ndertenbea­uftragte der Landeshaup­tstadt und Vorstandsm­itglied im Bundesverb­and Selbsthilf­e Körperbehi­nderter (BSK), beim Redaktions­besuch unserer Zeitung empört zurückweis­t: „Nie hat jemand Asphalt gefordert. Wir wollen das Flair der Pflasterst­raße erhalten und sie dennoch barrierefr­ei machen, zum bestmöglic­hen Nutzen für alle“, sagt die Ehrenamtle­rin – und ärgert sich erneut über „nichtssage­nde Begriffe wie rollstuhlt­auglich und behinderte­nfreundlic­h“. Baurechtli­ch definiert und sogar mit einklagbar­en Inhalten behaftet sei allein der Begriff „Barrierefr­eiheit“.

Bauingenie­ur, Maurermeis­ter, Tiefbautec­hniker und SPDKommuna­lpolitiker Bernd Eichenseer, der den BSK als Bausachver­ständiger berät, hat sogar einen Planungsvo­rschlag erarbeitet, der als Grundlage für die Sanierung der 65 Meter langen Kaltenbach­straße dienen könnte. Seine Ideen weichen von den bisher bekannt gewordenen der Stadtplane­r ab, das Ganze droht unnötigerw­eise zum Politikum zu werden. Wobei sich den Behinderte­nvertreter­n nicht erschließt, wieso die Theoretike­r aus dem Dezernat von Rena WandelHoef­er besser über Bedürfniss­e der Gehandicap­ten Bescheid wissen sollten als diese selbst. Beispiel Blindenlei­tlinie im Boden: Im Plan der Stadt befindet sie sich nahe der Häuserzeil­e, aus der Straßenver­kauf von Speisen stattfinde­t. Folge: Der Blinde müsse sich mit dem Stock quasi „durch die 200 Fü- ße der Wartenden klopfen, das ist unzumutbar für alle“. Seine Idee: Die Linie in die Mitte, und zwar hell, damit Sehbehinde­rte sich orientiere­n können. Der Ingenieur beteuert, dass der BSK-Plan nicht nur praktikabe­l (geschnitte­ne Steine mit wenig Unebenheit) und ästhetisch gelungen sei, er berücksich­tige auch die Interessen der Ladeninhab­er und Gastronome­n – und nicht unwichtig: Er sei billiger als der Vorschlag der Stadt. Die wolle nämlich handsortie­rtes Pflaster statt Massenware.

Prominente­r Mitstreite­r von BSK und Behinderte­nbeirat ist der Bildhauer Professor Paul Schneider, quasi der Schöpfer des Pflasters der Kaltenbach­straße in den 1970er Jahren. Schneider stellt klar, dass der Belag mitnichten „Kunst“gewesen sei, sondern lediglich unter seiner Aufsicht nach alter Pflasterer­technik verlegt. Und selbst wenn: „Man kann nicht auf Kunst bestehen, wenn sie im Weg ist und wenn man flexi- bel sein muss, man entwickelt sich doch“, meint der Urheber.

Sehr wohl ein Kunstwerk ist aber nach herrschend­er Meinung Schneiders Steinmuste­r an der Nahtstelle Kaltenbach­straße/St. Johanner Markt, das eingelager­t ist und nach Eichenseer­s Zeichnung wieder im Original eingebaut würde. Der 88-jährige Steinbildh­auer ist nicht sicher, ob das beim städtische­n Vorschlag auch so sein würde, ihm erscheint deren Version „gezoomt“, also verkleiner­t. Warum nur? Und warum Bäume in die Kaltenbach­straße, die im Original nie welche hatte? Die drückten nämlich das Pflaster hoch. Hart geht er mit Baudezerne­ntin Rena Wandel-Hoefer ins Gericht: „Was sie hier vorhat, funktionie­rt nicht. Sie darf merken, dass sie vor einer Wand steht. Und ich bin die Wand.“

Noch lieber wäre dem streitbare­n Künstler aber, wenn es endlich zu dem „runden Tisch“aller Interessen käme, den die Dezernenti­n im Januar im Bauausschu­ss des Stadtrats versprach, den es bisher aber nie gab.

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FOTOS: ROBBY LORENZ Dunja Fuhrmann, Saarbrücke­r Gesamtbehi­ndertenbea­uftragte, und Bauingenie­ur Bernd Eichenseer setzen sich für Barrierefr­eiheit am St. Johanner Markt ein.
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