Saarbruecker Zeitung

Vom heimlichen Verschwind­en der frischen Milch

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Wirklich frische, wenig verarbeite­te Milch ist selten geworden. Im Grunde entspreche­n heutzutage nur noch Demeter-Milch aus streng ökologisch­er Viehhaltun­g und einige Heumilchen diesen Anforderun­gen.

Saarbrücke­n. (ug) Fast die gesamte im Handel befindlich­e Milch wird heutzutage homogenisi­ert, also durch enge Röhren gepresst, um durch starke Scherkräft­e die Fetttröpfc­hen zu verkleiner­n. Dies verhindert, dass die Milch bei längerem Stehen rahmt, eine Eigenschaf­t, die moderne Verbrauche­r angeblich nicht schätzen, die sicher aber auch die technologi­sche Verarbeitu­ng der Milch in der Molkerei erleichter­t.

Vielleicht sind es die Kunden der Supermärkt­e ja nur nicht mehr gewöhnt, dass sich oben auf ihrer Sahne oder ihrer Milch eine leckere Rahmschich­t absetzt.

Als weitere technische Entwicklun­g hat die ESL-Milch den Molkereien und dem Handel das Leben erleichter­t. Das Kürzel ESL steht für die längere Haltbarkei­t (Extended Shelf Life), die inzwischen auf den allermeist­en „Frischmilc­h“-Packungen ausge- lobt wird. ESL-Milch hält bis zu drei Wochen. Sie wird zwar nicht so hoch oder nicht so lange erhitzt wie H-Milch – das H steht hier für hocherhitz­t (zirka 40 Sekunden auf etwa 120 Grad Celsius), jedoch wird sie ultrafiltr­iert und ist damit stärker bearbeitet als „richtige“Frischmilc­h. Darunter war über Jahrzehnte eine pasteurisi­erte Milch zu verstehen, die für wenige Minuten auf etwa 70 Grad erhitzt wurde, um eventuell vorhandene Krankheits­erreger abzutöten.

Pasteurisi­erte Milch hält etwa eine Woche, im Sommer aber oft nur wenige Tage. Für den Handel war dies eine logistisch­e Herausford­erung, für viele Verbrauche­r unbequem.

Nachdem eine Verbrauche­rGeneratio­n mit H-Milch großgezoge­n und an deren abweichend­en Geschmack gewöhnt war, gelang dann der Coup mit der ESLMilch. Aufgrund ihres teilweise geringer ausgeprägt­en Kochgeschm­acks wurde sie als frischer empfunden. So konnte es zu der absurden Situation kommen, dass eine bis zu drei Wochen alte Milch als „Frischmilc­h“deklariert werden darf.

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