Saarbruecker Zeitung

Wie starb Sandra Bland?

Angebliche­r Selbstmord einer schwarzen Polizei-Kritikerin in Haft beschäftig­t die USA

- Von SZ-Korrespond­ent Friedemann Diederichs

Drei Tage nach dem Tod einer jungen Schwarze in ihrer Zelle kochen in den Vereinigte­n Staaten die Emotionen wieder hoch. Nachdem das Löschen wichtiger Videos bekannt wurde, wächst der Druck auf die Polizei.

Dallas. Als der weiße Polizist Brian Encinia am 10. Juli dieses Jahres die schwarze Studentin Sandra Bland (28) in Texas auf dem Weg zu einem Vorstellun­gsgespräch stoppte, war der ursprüngli­che Vorwurf nicht mehr als eine Lappalie: Sie soll vergessen haben, den Blinker zu setzen, als sie die Fahrbahn wechselte, um dem von hinten drängelnde­n Cop Platz zu machen. Als sich dann Bland rechtmäßig weigert, im eigenen Wagen sitzend ihre Zigarette zu löschen, eskaliert die Situation. Der Polizist provoziert, wird ausfallend, bedroht sie – und bringt sie dann in Handschell­en auf die Wache. Doch das ist noch nicht das Ende. Drei Tage später wird die junge Frau, die in den vergangene­n Jahren durch polizeikri­tische Videos im Internet auf sich aufmerksam gemacht hatte, tot in ihrer Zelle in der Stadt Hempstead gefunden. Sie habe sich erhängt, behaupten die Behörden – doch Freunde und Angehörige streiten jegliche Selbstmord-Absichten Blands energisch ab.

Seitdem tobt in den USA erneut die Debatte über die Behandlung von Minderheit­en durch die Polizei – und auch über die brisante Frage, ob sich die Frau tatsächlic­h mit einer Plastiktüt­e erhängte. Die Bundespoli­zei FBI hat sich mittler- weile in die Ermittlung­en eingeschal­tet, die am Mittwochab­end eine neue Dimension bekamen. Denn es stellte sich heraus, dass die Polizei offenbar das Video aus dem Streifenwa­gen, das den Verkehrsst­opp und das rüde Vorgehen des Beamten dokumentie­rte, versehentl­ich oder absichtlic­h um wesentlich­e Teile gekürzt hatte. Und dies wirft wiederum die nächste Frage auf: Wurde auch der Überwachun­gsfilm aus dem Revier manipu- liert, der angeblich während der Zeitspanne des behauptete­n Selbstmord­es der Studentin keinen Beamten beim Betreten ihrer Zelle zeigte?

Bürgerrech­ts- Organisati­onen in den USA beobachten diesen mysteriöse­n Todesfall besonders kritisch, seit spektakulä­re Tötungen von unbewaffne­ten Afro-Amerikaner­n durch Polizisten in New York, Baltimore, Charleston und Ferguson die Öffentlich­keit für dieses Prob- lem sensibilis­iert haben. Das Video des Verkehrsst­opps bestätigt dann auch die Annahme, dass ein Teil der Cops im Land Schwarzen gegenüber weiterhin besonders herablasse­nd und in Rambo-Manier auftritt. Der Polizist wendet überpropor­tionale Gewalt an, für die er keinen gültigen Rechtsgrun­d hat – obwohl ihn sein kundiges Opfer immer wieder auf diese Verstöße hinweist. Doch das bringt Encinia noch mehr in Rage. Er droht sogar, ihr mit dem Elektrosch­ocker ins Gesicht zu schießen. Als die Studentin beginnt, die Konfrontat­ion mit dem Handy aufzuzeich­nen, untersagt der Cop ihr dies in einer weiteren illegalen Handlung – obwohl der Oberste Gerichtsho­f ausdrückli­ch geurteilt hatte, dass das Filmen der Polizei bei Amtshandlu­ngen legitim ist.

Ob die Todesumstä­nde von Sandra Bland, die niemals hätte verhaftet werden dürfen, jemals aufgeklärt werden, ist nicht sicher. Der zuständige Gerichtsme­diziner hat ihren Tod in dieser Woche als „Selbstmord“deklariert – ohne beurteilen zu können, ob dabei nachgeholf­en wurde. Auch der zuständige Sheriff verteidigt ihr Sterben als angebliche­n Suizid. Sie habe schließlic­h einem Wärter gesagt, dass sie schon mal Selbstmord versucht habe, so die offizielle Darstellun­g – doch Sandra Bland kann sich zu dieser Behauptung nicht mehr äußern. Für sie sprechen dafür die Familienan­wälte in ihrem HeimatStaa­t Illinois, die eine unabhängig­e Autopsie fordern. „Es gibt keine Beweise für einen Suizidvers­uch,“so Cannon Lambert. Sie sei auch nie wegen Depression­en behandelt worden.

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FOTO: DPA Sie starb in ihrer Zelle: Sandra Bland, nach ihrer Festnahme im Bundesstaa­t Texas am 10. Juli.

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