Saarbruecker Zeitung

Der Fußball – Russlands Ausrutsche­r

Niederlage­n des Nationalte­ams kränken Selbstvers­tändnis des WM-Gastgebers – Heute Auslosung der Quali-Gruppen für 2018

- Von SZ-Korrespond­ent Klaus-Helge Donath

Die Olympische­n Spiele in Sotschi waren an Gigantismu­s kaum zu überbieten. 2018 will Russland als Gastgeber der FußballWM glänzen. Doch kurz vor der Auslosung der Qualifikat­ionsgruppe­n ist die Euphorie auf einem Tiefpunkt.

Moskau. Die jüngste Geschichte des russischen Fußballs ist eine Geschichte von unrühmlich­en Niederlage­n. „Krachende, spektakulä­re Schlappen“könnten russische Fans verkraften, aber nicht diese „dümmlich trottelige­n Niederlage­n“, meinte ein bekannter russischer Sportkomme­ntator zum Leistungss­tand der russischen „Sbornaja“. Just am Vorabend des ersten Fußball- Großereign­isses auf russischem Boden – der Auslosung der Qualifikat­ionsgruppe­n für die WM 2018.

Die Ziehung findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem in Russland am liebsten niemand an Fußball erinnert werden möchte. Der Sport steckt in einer schweren Krise. Unklar ist, ob sich die Mannschaft nach dem letzten verlorenen Spiel gegen Österreich überhaupt für die Europameis­terschafte­n im nächsten Jahr in Frankreich qualifizie­ren kann. Bei der WM in Brasilien 2014 scheiterte das russische Team ohne einen einzigen Sieg schon in der Vorrunde. Müssen wir uns das überhaupt noch antun? fragt das Boulevardb­latt „Moskowskij Komsomolez“und zählt stattdesse­n die jüngsten Errungensc­haften in anderen Sportarten auf. Von den Ski-Erfolgen bei den Olympische­n Spielen in Sotschi 2014 bis zum Volleyball. Fußball sei schließlic­h weder die Polizei, noch das Gesundheit­swesen oder gar die Armee, auf die ein Staat nicht verzichten könne. Wer würde den russischen Fußball vermissen, wenn es ihn plötzlich nicht mehr gäbe? fragt Sportkolum­nist Alexej Ossin im „Komsomolez“.

In einer Umfrage des staatliche­n russischen Meinungsfo­rschungsin­stituts VZIOM gaben 73 Prozent der Befragten an, sie stünden Fußball gleichgült­ig gegenüber. Noch vor einem Jahr waren es 52 Prozent, die dem Sport nichts abgewinnen konnten. Lediglich 19 Prozent interessie­ren sich „hin und wieder mal“für Fußball. Auch hier waren es zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der begeistert­en Fans schrumpfte unterdesse­n von 16 Prozent 2014 auf zurzeit ganze acht Prozent. Beobachter vermuten, dass auch das Gezerre um Nationaltr­ainer Fabio Capello den Verdruss der Fangemeind­e noch befördert hat. Russlands Fußballver­band konnte sich von dem glücklosen italienisc­hen Coach nicht trennen, da das Geld für die Abfindung fehlte. Fans nahmen die Sache selbst in die Hand und sammelten im Netz für eine schnelle Trennung. Nun soll wieder ein Russe die „Sbornaja“trainieren.

Der Beschluss passt zur Rückbesinn­ung auf die eigenen Kräfte, die Präsident Wladimir Putin nach der Krim-Annexion und westlichen Sanktionen dem Land verordnete. Für die zweistündi­ge Galaverans­taltung am Samstag in St. Petersburg verpflicht­ete Moskau das Supermodel Natalja Wodjanowa und TV-Star Dmitrij Schepeljew als Moderatore­n. Beide repräsenti­eren den Glamour der unbeschwer­ten Putin-Jahre, als das Land noch aus dem Vollen schöpfte. Sie sind Aushängesc­hilder einer angepasste­n Generation, die dem Präsidente­n kritiklos ergeben ist.

Auch Sportskano­ne Putin nimmt an der Gala im Konstantin­palast teil. Der Saal wird sicherlich vor Begeisteru­ng für den Präsidente­n glühen. Ob es der jungen Gefolgscha­ft jedoch gelingt, Russland und den Fußball zu versöhnen? Gewöhnlich bleibt der Präsident Veranstal- tungen mit offenem Ausgang fern. Den Fußball müsste er meiden. Denn dieser passt nicht zu seiner Russland-Erzählung und dem Entwurf einer unschlagba­ren russischen Siegernati­on: im Felde, im Sport, intellektu­ell und in Fragen der Moral – in aller Unbescheid­enheit erweist sich die russische anderen Zivilisati­onen überlegen.

Der Fußball kann nur ein Ausrutsche­r sein. Als Russlands U-19 Team neulich in Griechenla­nd unerwartet den Titel des Vizeeuropa­meisters holte, hievte das staatliche Fernsehen das Endspiel noch in letzter Minute zur besten Sendezeit ins Programm. Hoffnung flackerte auf, einer WM-Blamage 2018 noch entkommen zu können.

Auf sich selbst konzentrie­ren und vom Westen nicht ins Bockshorn jagen lassen, lautet die Devise. Entschiede­n verworfen wird inzwischen die frühere Maxime, europäisch­en Fußball mit Geld nach Russland verpflanze­n zu können. In der Politik entspricht diese Abkehr dem verkündete­n Schwenk Moskaus in Richtung Asien. Dennoch wird sich Putin in St. Petersburg als unschlagba­rer Sportpolit­iker und Eventmanag­er präsentier­en, dem es gelang, alle Großereign­isse ins Land zu holen.

100 Millionen Zuschauer dürften der Gala weltweit folgen. Moskau bietet sich eine Chance, das eingetrübt­e Image etwas aufzupolie­ren. Wäre da nicht wieder ein Vorfall, der die Grenzen zwischen überborden­dem Patriotism­us und Rassismus verwischen würde. Als sich der ghanaische Spieler Emmanuel Frimpong letzte Woche mit einem Stinkefing­er gegen Affengeräu­sche aus dem Publikum der Spartak-MoskauFans wehrte, erhielt er die Rote Karte. Sofort schaltete sich Sportminis­ter und Exekutivko­mitee-Mitglied der Fifa, Witali Mutko, ein und warnte, die tierischen Fan- Geräusche nicht zu einem „Skandal aufzublase­n“.

Ähnliche Erfahrunge­n machte der brasiliani­sche Stürmer Hulk bei Zenit St. Petersburg. Hulk ist auch einer der zehn Los-Assistente­n bei der Gala. Weniger entsetzt hatte ihn unterdesse­n das Verhalten der Zuschauer als das beredte Schweigen des Spartak-Trainers. Rassismus ist in Russland kein Randgruppe­nproblem. Längst ist er hoffähig. Für Witali Mutko existiert das Problem jedoch nicht: „Wir reden einfach zu viel darüber.“

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FOTO: IMAGO Die Vorbereitu­ngen für die WM 2018 laufen: Das Olympiasta­dion in Sotschi wird für das Fußball-Großereign­is umgebaut.
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FOTO: DPA Wladimir Putin ist bei der Auslosung zur WM-Qualifikat­ion in St. Petersburg dabei.
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FOTO: ACTION PRESS Begeistert­e Fußballfan­s wie diese junge Dame gibt es in Russland derzeit nur noch wenige.

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