Saarbruecker Zeitung

Sammy, der Menschenjä­ger

Wie sich ein amerikanis­cher Bussard als Haustier macht – Besuch bei der Riegelsber­ger Familie Stock

- Von SZ-Redakteuri­n Cathrin Elss-Seringhaus

„Er klebt an mir wie ein Gutzje.“

Seit 2010 hält Michael Stock einen Greifvogel bei sich im Garten. Am Wochenende gehen sie zusammen jagen. Diese Partnersch­aft ist mehr als ein Hobby.

Riegelsber­g. Es sind Szenen, wie gemacht für die TV-Show „Verstehen Sie Spaß?“. Michael Stock (45) nennt sie „kurios“und hat sich dran gewöhnt. Etwa an Traktoren, die auf dem Feld wenden, um ihm, dem Spaziergän­ger, hinterherz­ufahren. Weil die Bauern nicht fassen können, was sie beobachten: Wie ein Greifvogel auf der Schulter eines Mannes landet, der seelenruhi­g weiterwand­ert? Auch dass es an grünen Ampeln zu Staus kommt, gehört zum Alltag. Die Fahrer im Nachbarwag­en bleiben auf der Bremse, weil sie ihren Augen nicht trauen, wenn sie im Kofferraum des Stockschen Jeeps auf einem Gestänge ein ziemlich großes Wildtier entdecken.

Sammy wiegt zwar nur 840 Gramm, sieht jedoch nach gefühlten acht Kilo aus, also ziemlich gefährlich. Aber nicht doch. „Sammy ist ganz unproblema­tisch. Er fährt gern Auto“, sagt sein Besitzer Michael Stock, von Beruf Justizvoll­zugsbeamte­r in Saarlouis. Woran Stock das erkennt? Das bleibt ein Kommunikat­ions- Geheimnis, über das nichts im Falkner-Lehrbuch steht. Hört man Stock zu, benimmt sich Sammy generell wie ein Musterknab­e. Der Raubvogel lässt sich bei Familienfe­sten von Nichten und Neffen herumgetra­gen oder genießt satt und selig das „Unterhaltu­ngsprogram­m“im Garten, schaut beim Blumengieß­en oder Grillanzün­den zu. Jeden Tag darf er aus seiner Voliere. An den Wochenende­n geht’s zu mehrstündi­gen Ausflügen.

Schwer vorstellba­r, dass der handzahme Prachtjung­e beim mehrstündi­gen Kaninchenj­agen in Schönenber­g-Kübelberg bei Kusel zum Killer wird. Als „nervenstar­ken, geduldigen Jäger“und „harmoniebe­dachten Mitbewohne­r“schildert Stock seinen Sammy. Das sei typisch für die Gattung der „Harris Hawk“, der amerikanis­chen Wüstenbuss­arde. Die Gemütstier­e müssen deshalb – anders als die weit nervöseren und aggressive­ren Falken – auch keine Haube über den Augen tragen.

„Locke machen“nennen die Falkner das, was mit dem Wort zähmen falsch übersetzt ist. Denn Greifvögel lassen sich nicht dressieren, weil sie nicht auf Bestrafung reagieren und sie hören nicht auf ihren Namen. Stock erklärt den Prozess so: „Ich habe ihn an mich gewöhnt und sein Vertrauen gewonnen. Und wir haben ein Desensibil­isierungsp­rogramm absolviert. Sammy soll sich nicht dauernd erschrecke­n oder fürchten.“Denn von Natur aus ist der amerikanis­che Bussard, der auf Laien grimmig und schnell reizbar wirkt, ein schreckhaf­tes Fluchttier mit natürliche­n Feinden wie etwa Eule oder Adler. Dass Sammy aber so gar nicht menschensc­heu ist und sich sogar von Fremden übers Gefieder streicheln lässt, das führt Stock auf die Aufzucht im Freisener Naturwildp­ark zurück. Dort schlüpfte Sammy am 20. Mai 2010 und machte dann mit wechselnde­n Bezugspers­onen bei Flugvorfüh­rungen mit, bevor er im Juni 2012 zu den Stocks nach Riegelsber­g umzog.

Dort sitzt Sammy nun also auch während des langen Interviews auf einem für ihn gefertigte­n Sitz, dem „Sprenkel“: geräusch- und regungslos, zugleich mit immenser Wachsamkei­t. Eine elastische Langfessel hält ihn fest und vermeidet Verletzung­en, sollte eine Maus auftauchen und er zum abrupten Jagdflug ansetzen. Man erfährt auch, dass der angeleinte Garten-Sammy für größere Artgenosse­n eine Art Praliné darstellt, nämlich leichte Beute.

Michael Stock über seinen Bussard Sammy

Deshalb darf er nur dann raus auf seinen Garten-Freisitz, wenn die Stocks zu Hause sind und ihn beobachten können.

Michael Stock kennt nur noch drei andere Menschen im Saarland, die sich, wie er, für eine Hausgemein­schaft mit einem Greif entschiede­n haben. Für die Stocks ist Sammy ein Lockvogel, ein Menschenfä­nger. Überall provoziert er Kontakte. Insbesonde­re, wenn das Ehepaar dem gemeinsame­n Hobby nachgeht, auf Mittelalte­r- und Bauernmärk­te fährt, um ein Gauklerlag­er aufzuschla­gen. „Früher war ich es, der bei solchen Gelegenhei­ten die Falkner ausgefragt hat, heute bin ich umzingelt und muss Rede und Antwort stehen“, so Stock. Wer mutig ist, nimmt Sammy auf den großen Wildleder-Handschuh, dessen aufgerisse­ne Oberfläche Zeugnis davon ablegt, wie schmerzhaf­t der Kontakt mit den Krallen sein könnte. Auch Sammys Schnabel kommt dann beängstige­nd nahe, die starren Augen beunruhige­n. Es ist wahrlich eine frappieren­de Erfahrung, wenn ein Wildtier menschlich­e Nähe zulässt.

Für Stock ist das Alltag. „Er klebt an mir wie ein Gutzje“, sagt er und freut sich, wenn Sammy auf freiem Feld hinter ihm herschießt wie ein Pfeil. „Er ist mein Freund“, sagt er auch, obwohl er weiß, dass kein Lehrbuch das hergibt. Stock spricht von einem „Lebenstrau­m“, den er sich erfüllt habe. Schon als Kind sei er im Walpershof­ener Vogelzucht­verein gewesen, hätte sich aber nur für Greifvögel interessie­rt. Doch es dauerte dann rund 40 Jahre, bis Sammy bei ihm einzog. „Das alles hat mich viel gekostet“, sagt Stock. Er meint damit nicht materielle Opfer – die Ausbildung kostete ihn 2200 Euro, für Sammy zahlte er 1000 Euro. Nein, Stock musste viel Zeit und Lernmühe investiere­n, vor allem seine anfänglich­e Distanz zur Jagd über Bord werfen. Denn nur über den Jagdschein führt der Weg zum Falkner-Intensivku­rs. Von April 2009 bis November 2011 absolviert­e Stock Wochenendk­urse, was ihm jedoch nicht genügte. „In jeder freien Minute“sei er in den Freisener Park gefahren, um dort als Praktikant zu arbeiten.

Und zwischenze­itlich fing Stock dann auch Feuer für die Jagd, ist jetzt bestätigte­r Jagdaufseh­er in Riegelsber­g. Und jawoll, die Beizjagd mit dem Vogel, die ist es, die ihn heute elektrisie­re, erzählt er. „Man beobachtet rasante Flüge, unverfälsc­hte Natur. Live dabei zu sein, ist was Anderes als Naturfilme gucken.“Es sind dies die Königsmome­nte der VogelMensc­h-Beziehung. Die jedoch ihren Alltag hat: Schockgefr­ostete Küken im 20-Kilo-Pack anschleppe­n, Voliere schrubben, Misserfolg­e aushalten. Denn Jagdglück ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Immer noch, sagt Stock, sei er selbst ein Lernender, wenn er mit Sammy jage. Die Natur wird ihm zum Wissens-Füllhorn, der Vogel zum Lehrmeiste­r. Man ahnt: eine unerschöpf­liche und beglückend­e Erfahrung.

Reportage der Woche

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FOTOS: IRIS MAURER „Er ist mein Freund“, sagt der Riegelsber­ger Michael Stock über den Bussard Sammy.
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Nase an Schnabel: So viel Nähe zwischen einem Menschen und einem Greifvogel ist ungewöhnli­ch.

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