Ein Theater-Donner – weit über die Saar-Kultur hinaus
Weggang der Staatstheater-Intendantin ist keine Standardpersonalie
Saarbrücken. Reisende soll man nicht aufhalten, heißt es. Und die Saarbrücker Staatstheater-Chefin Dagmar Schlingmann (55) hätte sich wohl auch dann nicht umstimmen lassen, ihren Vertrag zwei Jahre vor der Zeit, 2017, zu beenden, wenn ihr Kulturminister Ulrich Commerçon (SPD) einen Goldesel ins Büro geschickt hätte. Schlingmanns Alter und die Vernunft diktierten einen Wechsel, denn er geht jetzt in Würde, ohne Streit und als Karrieresprung vonstatten – ans Braunschweiger Theater. Wäre Schlingmann geblieben, hätte die Landesregierung ihren Vertrag, der bis 2019 lief, noch einmal um drei oder gar fünf Jahre verlängert, wäre sie in das Segment „schwer vermittelbar“gerutscht, selbst in dem sehr flexiblen Markt für Theater-Führungskräfte. Schlingmann hätte im Saarland auf ihre Rente gewartet. Eine Schwächung ihrer Verhandlungsposition in den anstehenden Finanzdebatten. Schlingmann, erpressbar, eine TheaterTrümmerfrau? So sah sie sich gewiss nicht. In Braunschweig eröffnet sich ihr zudem eine beflügelnde Zehn-Jahres-Perspektive.
Rufen wir Schlingmann ein fröhliches „Glück auf“hinterher? Bloß nicht. Es würde verlogen klingen. Nicht nur, weil man diese ausgezeichnete Künstlerin und unprätentiöse Theatergestalterin vermissen wird. Hier geht es eben nicht, wie von Kulturminister Ulrich Commerçon (SPD) behauptet, um eine kulturpolitische Standardpersonalie. Denn sie fällt in eine Zeit, da nicht wenige Bürger ihr Bundesland fast am Boden sehen. Sie und andere außerhalb des Landes hö- ren die Botschaft: Die Besten verlassen das sinkende Schiff, ohne dass die Politiker sie aufhalten könnten. Es geht dabei nicht um horrende Gehälter als Bindemittel, sondern um Zusagen für mittelfristige Finanzplanungen, sprich um Bestands- und Fortentwicklungs- Garantien von wichtigen Institutionen. Ohne Klarheit wird ein Managerjob dort zur Farce und zur Qual. Doch weil die Landesregierung nicht nur im Kulturbereich unheilvoll offen lässt, welche Institutionen sie trotz Sparbremse mit Investitionen stützen will, müssten sich potenzielle Führungskräfte ins Ungewisse verpflichten. Das Theater gibt jetzt nur mal die Vorhut. Ohne Gegensteuerung der Landesregierung wird es in eine Abwärtsspirale gezogen. Bei der Nachfolgesuche für Schlingmann droht die zweite und dritte Wahl, es droht ein Absturz in die Provinzklasse. Und bereits weit vorher dürfte das Kaputtstreiten einsetzen, der lang unterdrückte „Kulturkampf“zwischen Kommunen, Landeshauptstadt und Land wegen angeblich überprivilegierter Prunk-Institutionen in der Metropole, um Status, Sparten und Spielstätten am SST.
Ein zu düsteres Szenario? Auch Schlingmann ließ sich schließlich bei ihrem Engagement nach Saarbrücken auf Sparvorgaben ein. Richtig. Doch das Korsett wurde anschließend gelockert. Heute gibt es keine Schonung für Landesgesellschaften mehr. Das macht den Fall Schlingmann so traurig: Er sendet das Signal von politischer Handlungsunfähigkeit, von Depression.
Was wäre zu tun? Die von der Opposition geforderte Kulturförderung-Prioritätenliste wäre zumindest ein Ansatz, eine fraktionsübergreifende Initiative und Einigung wären denkbar. Denn an den über Jahre durch alle Koalitionen verschleppten Kulturentwicklungsplan traut auch Commerçon sich nicht ran. Oder jetzt doch? Schnell und radikal?
Die SZ- Analyse