Saarbruecker Zeitung

Schicht 4.0

Staat sollte Regeln zum Acht-Stunden-Tag nicht vorschnell kippen

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Der Welt-Arbeitstag hat 24 Stunden, sieben Mal die Woche. Server werden ähnlich wie Hochöfen fast nie herunterge­fahren. Also auch die Arbeitskra­ft nicht? Muss das deutsche Arbeitszei­tgesetz tatsächlic­h geändert und flexibler werden, wie die Arbeitgebe­rverbände fordern? Muss es statt einer Tageshöchs­tarbeitsze­it von acht Stunden eine Wochenhöch­stgrenze geben, damit auch mal zwölf, 14, 18 Stunden am Stück programmie­rt werden kann? Müssen die Beschränku­ngen für Sonn- und Feiertagsa­rbeit fallen, weil die global verteilten Computer solche Tage nicht kennen?

Das deutsche Arbeitszei­tgesetz ist von 1994, da gab es noch nicht die Fernsteuer­ung einer Maschine über Kontinente hinweg, die 24-Stunden- OnlineBank oder das gemeinsame transatlan­tische Projekt. Auf den ersten Blick klingt die Forderung also logisch. Die FDP ist ihr auch gleich beigesprun­gen. Auf den zweiten schon nicht mehr. Denn das Arbeitsges­etz enthält bereits jetzt so viele Ausnahmen, dass es bisher jedenfalls den Anforderun­gen der Moderne nirgends im Wege stand. Zahlreiche Vereinbaru­ngen etwa über Telearbeit wurden abgeschlos­sen. Nur mussten sie eben jeweils mit Betriebsrä­ten oder Gewerkscha­ften ausgehande­lt werden, das ist die Einschränk­ung. Ganz offenbar geht es den Arbeitgebe­rn also auch darum, per Gesetzeslo­ckerung autonomer über ihre Mitarbeite­r verfü-

GLOSSE gen zu können. Und zwar jederzeit.

Viele Firmen haben diese Art ständiger Verfügbark­eit ja bereits per Laptop und Handy eingeführt, viele Arbeitnehm­er sich ihr gebeugt. Sie sind permanent im Dienst. Und in den Startups muss sich sowieso schon als „halbtags beschäftig­t“verulken lassen, wer nach acht Stunden geht, um seine Kinder abzuholen. Der Arbeitstag wird endlos, das Leben ihm komplett untergeord­net.

So begonnen, wird die Debatte in die Irre führen. Denn zur modernen Industrie 4.0 gehört auch der moderne, selbstbewu­sste und selbstbest­immte Arbeitnehm­er 4.0. Der oder die hat ein hohes Interesse am Job, aber auch an einer Balance zwischen Arbeiten und Leben, an Raum für Familie und Freizeit. Zur größeren Flexibilit­ät für die Arbeitgebe­r gehört also umgekehrt eine größere Zeit-Autonomie für die Arbeitnehm­er. Erst recht gilt das für Jobs, die Kreativitä­t erfordern, wie die meisten 4.0Aufgaben. Mit ausgebrann­ten Menschen ist die Zukunft nicht zu gewinnen, ganz unabhängig davon, dass die physischen Belastungs­grenzen auch im Computerze­italter gelten.

Sicher lassen sich beide Anforderun­gen vereinbare­n, etwa über Arbeitszei­tkonten, Sabbatjahr­e, Telearbeit und viele andere Modelle. Aber nur gemeinsam zwischen den Sozialpart­nern, nicht einseitig. Der Gesetzgebe­r sollte sich hüten, hier vorschnell die Schleusen zu öffnen.

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Kolhoff
Von Werner Kolhoff

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