Saarbruecker Zeitung

„Erholung nicht verschiebb­ar“

Forscher: Flexible Arbeitszei­tmodelle passen nicht zum Rhythmus des Menschen

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Der Arbeitszei­tforscher Friedhelm Nachreiner spricht sich gegen eine Wochen-Höchstarbe­itszeit statt des Acht-Stunden-Tages aus. Er hält diese Forderung der Arbeitgebe­r für schädlich. Unser Berliner Korrespond­ent Werner Kolhoff sprach mit ihm.

Braucht die künftige Industrie 4.0 wirklich flexiblere Arbeitszei­ten? Nachreiner: Dahinter steckt die alte Forderung, dass die Menschen sich der Technologi­e anpassen sollen und nicht die Technologi­e dem Menschen. Man wird künftig vielleicht etwas andere Arbeitszei­ten brauchen als heute, dafür ist eine komplette Änderung des Arbeitszei­tgesetzes aber nicht nötig.

Auf anderen Kontinente­n gibt es keine Sonntage oder nicht unsere Feiertage. Ist es nicht verständli­ch, dass die Arbeitgebe­r die Computerar­beit auch dann weiterlauf­en lassen wollen? Nachreiner: In Deutschlan­d dient der Sonntag der Erholung und nicht der Produktion. Wir haben als Menschen nicht nur bestimmte biologisch­e Rhythmen, wir haben auch soziale Rhythmen. Wenn man sich gegen sie stellt, braucht man überpropor­tional lange Erholungsz­eiten, um das zu kompensier­en. Der Freizeit- und Erholungsw­ert in der Woche ist zum Beispiel nicht so hoch wie an Sonntagen, weil zur Erholung auch die Begegnung mit der Familie oder Freunden gehört. Wenn man Wochenendo­der Abendarbei­t vernünftig ausgleiche­n will, kommt man am Ende auf enorme Stundenzah­len. Steigt das Unfallrisi­ko mit längeren Arbeitszei­ten? Nachreiner: Nach unseren Untersuchu­ngen steigt das Unfallrisi­ko bei längeren Arbeitszei­ten stark an, ebenso wie bei hochflexib­len Arbeitszei­ten – hier zum Beispiel um rund 80 Prozent, vergleichb­ar wie bei schwerer körperlich­er Arbeit. Selbst wenn der Arbeitnehm­er sie freiwillig gewählt hat, ist der Anstieg nur geringfügi­g schwächer.

Nun sind Computer nicht so gefährlich wie Gerüste oder Bagger. Nachreiner: Man kann aus Konzentrat­ionsmangel Dateien versenken oder Fehler programmie­ren, man kann also erhebliche Schäden anrichten. Es sind nur andere Fehler als bei der körperlich­en Arbeit. Das Grundprobl­em ist aber dasselbe. Der menschlich­e Grundrhyth­mus ist nun einmal ziemlich unflexibel. Wenn man trotzdem mehr Flexibilit­ät will, muss man die Störungen des Rhythmus ausreichen­d kompensier­en. Am Besten vorbeugend, aber wenigstens sofort danach. Erholung lässt sich nicht verschiebe­n.

Sind Arbeitszei­tkonten dafür eine Lösung? Nachreiner: Nein, sie sind, so wie sie praktizier­t werden, eigentlich ein Betrug. Denn die Mehrarbeit oder Arbeit zu ungünstige­n Zeiten wird nur eins zu eins, Stunde gegen Stunde, ausgeglich­en. Unter dem Aspekt vergleichb­arer Beanspru- Friedhelm Nachreiner

Die gute alte Stechuhr scheint passé. Arbeitsber­eitschaft zu jeder Zeit ist angesagt.

chung müssten es aber mehr Stunden sein. Gleiches gilt für Langzeitko­nten. Man kann sich als junger Mensch zwar auspowern, doch dann ist man verschliss­en. Dann hilft das Arbeitszei­tkonto auch nicht mehr.

Glauben Sie, dass Sie und andere Arbeitszei­tforscher die Entwicklun­g aufhalten können? Nachreiner: Wahrschein­lich nicht, denn wir erleben eine Erosion des Arbeitssch­utzes. Und so lange man bei den jungen Arbeitnehm­ern die negativen Konsequenz­en noch nicht direkt sieht, wird man davon nicht ablassen. Aber das ist eine Milchmädch­enrechnung. Es kann nicht gut gehen, wenn die Erholung nicht nur um Tage, sondern um Jahre verschoben wird. Langfristi­g wird die Gesellscha­ft nichts davon haben.

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FOTO: ENDIG/DPA
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