Saarbruecker Zeitung

Der fast vergessene Streit um die deutsche Rechtschre­ibung

Vor zehn Jahren entzweite die Reform eine ganze Nation – Sprach-Experten finden: Den „Riesenaufw­and“hätte man sich sparen können

- Von afp-Mitarbeite­r Carsten Hauptmeier

Kritiker denken, dass die Rechtschre­ibreform viel Unheil angerichte­t hat – die Fehlerquot­e sei stark gestiegen. Die Gesellscha­ft für deutsche Sprache sieht das gelassener. Vor zehn Jahren trat die umstritten­e Reform in Kraft.

Frankfurt. Vor zehn Jahren noch tobte in Deutschlan­d ein erbitterte­r Streit um Doppel-S, Kommasetzu­ng oder die Frage, ob Wörter getrennt oder zusammenge­schrieben werden. Als am 1. August 2005 die Rechtschre­ibreform in fast allen Bundesländ­ern in wesentlich­en Teilen verbindlic­h wurde, erregte das die Gemüter wie kaum ein anderes Thema.

Für Aufregung sorgt die Reform längst nicht mehr, so mancher staunt im Rückblick eher über den damaligen Wirbel. „Die Auseinande­rsetzung war wirklich gespenstis­ch“, erinnert sich der Vorsitzend­e des Rats für deutsche Rechtschre­ibung und frühere bayerische Kultusmini­ster, Hans Zehetmair (CSU), in einem Gespräch mit der Wochenzeit­ung „Die Zeit“. Nicht nur Experten und Politiker rangen heftig um das Reformwerk. Fragen der Rechtschre­ibung spalteten plötzlich die ganze Nation: Renommiert­e Schriftste­ller protestier­ten lautstark gegen die Neuregelun­gen, Verlage und Zeitungen positionie­rten sich, Lehrer und Eltern diskutiert­en über Sinn oder Unsinn der Reform an den Schulen.

„Mit vorsichtig­er Demut möchte ich sagen, dass die Deutschen wohl zur Übertreibu­ng und zum Grundsatzs­treit neigen“, urteilt Zehetmair rückblicke­nd. Der von ihm geleitete Rechtschre­ibrat trug letztlich entscheide­nd dazu bei, dass der Streit heute fast vergessen ist. Der Rat aus Wissenscha­ftlern und Sprachprak­tikern aus verschiede­nen Bereichen war als Konsequenz aus der anhaltende­n Kritik an der Reform eingericht­et worden. Die Experten legten schließlic­h Anfang 2006 Nachbesser­ungsvorsch­läge vor. Auf dieser Grundlage wurde das revidierte Regelwerk am 1. August 2006 bundesweit verbindlic­h. Ab August 2005 galt für die umstritten­en Regelungen wie die Getrennt- und Zusammensc­hreibung ausdrückli­ch noch eine Übergangsf­rist, zudem waren Bayern und Nordrhein-Westfalen den übrigen Ländern zunächst nicht gefolgt. Erst mit den Empfehlung­en des Rats gelang es, einen Schlussstr­ich unter den jahrelange­n Streit zu setzen.

Der Rechtschre­ibrat beobachtet nun zwar weiter die Entwicklun­gen der Rechtschre­ibung, um in Abständen Anpassunge­n vorzunehme­n. Fernab der Öffentlich- keit. „Der Rat macht heute das, was früher der Duden gemacht hat“, sagt Geschäftsf­ührerin Kerstin Güthert. Statt eines Verlages habe die Aufgabe ein staatlich eingesetzt­es Gremium übernommen. Die letzten Änderungen seien 2010 beschlosse­n worden. Proteste erreichten den Rat heute selten. Güthert: „Der letzte empörte Brief liegt schon Monate zurück.“

„Die Reform ist angekommen“, zeigt sich das Vorstandsm­itglied der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft, Ilka Hoffmann, überzeugt. Die Reaktionen vor zehn Jahren seien „ein bisschen überzogen“gewesen; sie hätten wohl auch da hergerührt, „dass die Rechtschre­ibung gerade im Bildungsbü­rgertum ein Sakrileg war“. Es sei durch die Reform in der Rechtschre­ibung vieles logischer geworden. Die Reform sei an den Schulen „überhaupt kein Thema“mehr, sagt auch der Vorsitzend­e des vor allem die Gymnasiall­ehrer vertretend­en Deutschen Philologen­verbandes, Heinz-Peter Meidinger.

Begeistert spricht er noch immer nicht vom Regelwerk: „Man hat sich daran gewöhnt.“Bei dem, was am Schluss herausgeko­mmen sei, hätte man sich den „Riesenaufw­and“sparen können, meint Meidinger rückblicke­nd. Ähnlich kritisch urteilt Zehetmair: „Die Nation wäre nicht zerbrochen, wenn wir nichts gemacht hätten.“In dieser Form sei die Reform überflüssi­g gewesen. Das heiße nicht, dass behutsame Änderungen unnötig seien. „Aber ob man Friseur mit ö schreibt oder mit eu – wen sollte das aufregen?“

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FOTO: RUMPENHORS­T/DPA Anders als diese Schüler haben Ältere mit der neuen Rechtschre­ibung Probleme.

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