Das Gift, der Koch und die zwei Spione
Wird der Mord am russischen Agenten Litwinenko jetzt aufgeklärt?
London. Monatelange Recherche, ein halbes Jahr Anhörungen und Befragungen, mehr als 2,4 Millionen Euro Kosten. Man hätte den spektakulären Gifttod des ehemaligen russischen Spions Alexander Litwinenko, der Ende 2006 London und die Welt bewegte, kaum gründlicher aufarbeiten können. Freitag war der letzte Tag der Anhörungen einer Gerichtlichen Untersuchung in London. Noch Ende des Jahres will der Richter dem Londoner Innenministerium seinen Bericht vorlegen. Russland dürfte darin nicht allzu gut wegkommen.
Wäre dies ein Gerichtsprozess mit Angeklagten gewesen, es sähe schlecht aus für Dmitri Kowtun und Andrej Lugowoi. Die beiden trafen ihren früheren Geheimdienst-Kollegen Litwinenko am 1. November 2006 im schicken Londoner Millenium Hotel zum Tee. Gut drei Wochen später war der 43-Jährige, der Wladimir Putin einen Terroristen und Pädophilen genannt hatte, tot.
Das Opfer war sicher, vergiftet worden zu sein. Er beschuldigte auf dem Sterbebett Präsident Wladimir Putin, den Mord in Auftrag gegeben zu haben. Dass es radioaktives Polonium-210 war, das Litwinenko qualvoll sterben ließ, kam eher zufällig ans Licht – und alarmierte die britische Regierung. Schon 2007 wurde Lugowoi in Großbritannien wegen Mordes angeklagt. Dass Moskau ihn nicht auslieferte, führte zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen den beiden Ländern. Inzwischen ist auch Kowtun angeklagt.
Die neue Untersuchung konnte auch nicht klären, ob der Kreml den Mord in Auftrag gegeben hat. Die britische Polizei ist sich aber sicher. Die „einzig glaubhafte Erklärung“sei, dass Russland „auf die ein oder andere Weise“die Finger im Spiel gehabt habe, sagte Anwalt Richard Horwell als Vertreter der Polizei in seiner Schlusserklärung. Die Polizei verlangt, Lugowoi und Kowtun in Großbritannien wegen Mordes vor Gericht zu stellen. Letzterer vermutete dagegen im April in Moskau öffentlich, Litwinenko habe sich aus Versehen selbst vergiftet. Kowtun sorgte auch für die beiden größten Aufreger der Untersuchung: einmal, als er ankündigte, von Moskau in London aussagen zu wollen. Und dann Anfang dieser Woche, als er an- gab, keine Erlaubnis der russischen Behörden dafür zu haben. Der leitende Richter sprach von einer „Scharade“. Nur Tage zuvor hatte eine Zeugenaussage aus Deutschland Kowtun belastet, der in den 90er Jahren in einem Hamburger Restaurant gearbeitet hat. Am 30. Oktober 2006 habe Kowtun einen früheren Kollegen plötzlich angerufen und um ein Treffen gebeten. „Er fragte mich, ob ich einen Koch kenne, der in London arbeite“, hieß es in dem Vernehmungsprotokoll der deutschen Polizei. „Er sagte, er habe ein sehr teures Gift und brauche einen Koch, der es Litwinenko verabreiche.“
Wenig bis nichts bekannt wurde über die Rolle, die britische Geheimdienste und andere westliche Akteure in der Geschichte gespielt haben. Möglicherweise wird der Abschlussbericht Aussagen dazu enthalten. Wahrscheinlicher ist, dass er die vorherrschende Meinung zementiert: Lugowoi und Kowtun seien die Mörder, Putin wohl der Auftraggeber. Die britische Regierung hatte sich lange gegen die Untersuchung gestemmt. Dass es sie gab, ist ein Sieg für Litwinenkos Witwe Marina. Dennoch gilt eine Auslieferung von Lugowoi durch den Kreml als sehr unwahrscheinlich.