Saarbruecker Zeitung

„Liebes unbekannte­s Fräulein Alma“

Alma Klein schrieb Briefe an Frontsolda­ten im Zweiten Weltkrieg

- Von SZ-Redakteuri­n Ute Klockner

Es sind Briefe voller Wünsche und Hoffnungen, aber auch voller Trauer und Zweifel, die junge Soldaten an das Mädchen Alma im Zweiten Weltkrieg senden. Über 70 Jahre später hat sie die Feldpost wiederentd­eckt.

Neunkirche­n. Eine Vorder- und eine Rückseite, eng aber ordentlich mit blauer Tinte beschriebe­n: Mehr Platz blieben dem 21 Jahre alten Soldaten Ernst nicht, um sich dem „lieben unbekannte­m Fräulein Alma“in Neunkirche­n vorzustell­en und von seinen Eindrücken in Bosnien, wo er im Oktober 1942 stationier­t war, zu erzählen. Überzeugt, ihm wieder zu schreiben, hat er die damals 17-Jährige dennoch. „Natürlich habe ich ihm sofort geantworte­t“, erinnert sich Alma Klein fast 73 Jahre später. „Wir hatten den Auftrag vom Bund Deutscher Mädel, Verbindung mit den Soldaten an den Fronten aufzunehme­n. Die persönlich­en Nachrichte­n aus der Heimat sollten die Soldaten im Kampf gegen den sogenannte­n ‚Feind’ stärken“, erzählt sie. In einer kleinen geblümten Schachtel hebt die heute 90-Jährige die erhaltene Feldpost auf. Sie adressiert­e die Briefe an „den unbekannte­n Soldaten – Ostfront“und erhielt viele Antworten von verschiede­nen Kriegsscha­uplätzen – auch aus Afrika. Bei manchen Soldaten blieb es bei einem Brief, mit anderen entstand ein reger Austausch. Vor Kurzem hat sie die Briefe wiederentd­eckt.

Es sind intime Dokumente, die vom Überlebens­kampf teils in heroischen Farben, teils voll Zweifel und Trauer erzählen. Aber auch Wünsche und Hoffnungen schilderte­n die jungen Männer in ihren Briefen, die sie an das Neunkirche­r Eisenwerk adressiert­en. Dort arbeitete Alma Klein – die damals noch Alma Heinz heiß – seit 1941 als Lohnbuchha­lterin. Als Älteste von fünf Geschwiste­rn musste sie helfen, den Lebensunte­rhalt für die Familie zu verdienen.

Auch ihre Freundin schrieb sich mit jungen Soldaten. In ihren Mittagspau­sen lasen sich die Kolleginne­n die Briefe „ihrer“Soldaten vor. „Wir konnten gar nicht glauben, was sie uns da schreiben“, schmunzelt Alma Klein. So wurden die Nachrichte­n von Ernst zunehmend zu Liebesbrie­fen. „Ich hatte wohl Kameraden, aber es fehlte je- doch der Mensch, der etwas mehr wie Kamerad ist. (. . .) in Dir will ich das sehen, für das ich kämpfe und für das ich Soldat bin.“Mehrfach fragt er nach einem Treffen. „Der Brief hat mir zu denken gegeben, leider weiß ich nicht mehr, was ich ihm geantworte­t habe“, sagt Klein. Die Bitte nach einem Treffen kam für sie zu schnell: „Wir waren damals etwas genanter als die jungen Frauen heutzutage.“Ernst schickte ihr Nylonstrüm­pfe, die sogar passten. Im Gegenzug versorgte sie ihn mit Zeitungen, Zigaretten und Rasierwass­er.

„Die letzte große Schlacht müssen wir gewinnen! Wir wer- den es, daran und an den Führer glaube ich!“, schrieb ihr Oberfeldwe­bel Karl von seinem Einsatz in Frankreich im August 1944. „Ich habe versucht, seinen absoluten Glauben an den ‚Führer’ und den Sieg herunterzu­schaukeln“, sagt Alma Klein. Der katholisch­e Glaube habe im Elternhaus stets Vorrang vor der Politik gehabt.

Auch ihr habe der Briefwechs­el geholfen, den Krieg und seine Wirren zu durchstehe­n. Durch die Arbeit beim Eisenwerk, das kriegswich­tig war, blieb sie vom Reichsarbe­itsdienst und der Flakhilfe verschont. Als die Bomben auf Neunkirche­n fielen, mussten sie und ihre Kolleginne­n warten, bis die Telefone schrillten und die Erlaubnis kam, mit den wichtigen Akten im Keller Zuflucht zu suchen. Im Dezember 1944 entschied ihr Vater, Oberwachtm­eister bei der Polizei, dass die Familie sich in Sicherheit bringen sollte. In Kohlewaggo­ns voller Flüchtling­e reisten sie zwei Tage und eine Nacht nach Bayern, wo sie bis Kriegsende blieben.

„Ja, liebe Alma, wenn der Krieg einmal zu Ende ist, was wird er uns dann Schönes bringen?“, schreibt Ernst. Er wirkt nachdenkli­ch. Alma Heinz seufzt und lässt den blauen Briefbogen sinken. Es war der letzte Brief, den sie von ihm bekommen hat. Auskunft über sein Schicksal hat sie nie erhalten. „Insbesonde­re der jungen Generation möchte ich mit diesen Briefen verdeutlic­hen, was es heißt, im Krieg als Soldat teilnehmen zu müssen – und sein junges Leben zu verlieren“, sagt Klein. Auch zwei Briefe an Karl kommen zu ihr zurück – auf dem Umschlag der Vermerk: „Gefallen für Gross-Deutschlan­d“.

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