Als im Saarland die Freiheit ausbrach
Der Abstimmungskampf 1955 brachte die Generalabrechnung mit der Saarpolitik
Im Sommer vor 60 Jahren begann die heiße Phase vor der Abstimmung über das Saarstatut im Oktober. Erst jetzt durften auch wieder prodeutsche Zeitungen erscheinen, die die damalige Regierung zuvor verboten hatte.
Saarbrücken. Die Pressefreiheit gilt als Thermometer, an dem sich ablesen lässt, wie es um die Freiheit in einem Staat bestellt ist. Gemessen daran sah es im Nachkriegs-Saarland bis zum 23. Juli 1955 nicht gut aus. An jenem Tag machte an der Saar ein Wort die Runde: „Die Freiheit bricht aus!“ So jubelten die Gegner des Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann (Christliche Volkspartei).
Dann erst hatte Hoffmanns Regierung keine Handhabe mehr, unliebsame Parteien und Zeitungen zu verbieten. Als unliebsam galten der Hoffmann-Regierung jene Kräfte, die sich für die Angliederung des seit 1947 existierenden „Saar-Staates“an die Bundesrepublik starkmachten.
Wer „prodeutsch“orientiert war, galt als Verfassungsfeind: Weil er die Abtrennung des Saarlandes von Deutschland und die Wirtschaftsunion der Saar mit Frankreich missbilligte. Also durften im autonomen Saarland Hoffmanns weder prodeutsch orientierte Parteien agieren noch regierungskritische Zeitungen gelesen werden. Statt die politische Auseinandersetzung zu suchen, reagierten die Regierenden mit Ausweisungen, Verboten und Zensur.
Dies hatte im Sommer 1955 mit dem legendären Abstimmungskampf ein Ende. Drei Monate lang stritten die Parteien um ein Ja oder Nein zum Saarstatut. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und Frankreichs Premier Pierre Mendès-France (Radikalsozialisten) hatten dieses Abkommen am 23. Oktober 1954 unterschrieben. Es sollte den seit Jahren zwischen Bonn und Paris schwelende Konflikt um die Saar endgültig bereinigen. Nur mühsam hatte die Bundesregierung das Abkommen über die parlamentarischen Runden gebracht. Denn nicht nur die SPD- Opposition, auch die kleineren Koalitionspartner Adenauers und ein Teil der Union opponierten dagegen. Sie befürchteten, es leiste der endgültigen Abtrennung der Saar von Deutschland Vorschub.
So skeptisch die prodeutschen Kräfte an der Saar dem Statut anfänglich auch gegenüber standen, einen Vorzug übersahen sie nicht: Das Abkommen brachte ihnen erstmals das Recht der freien Betätigung. Denn Artikel 6 kassierte den bislang bestehenden Genehmigungszwang für Parteien, Vereine, Zeitungen und Versammlungen. Jetzt konnte sich auch die prodeutsche Opposition offen zu Wort melden. Ende Juli 1955 erschienen wieder prodeutsche Zeitungen an der Saar.
Die Abstimmungs-Kampagne konnte beginnen. Binnen Kurzem schlugen die Wogen der Erregung zwischen Anhängern („Jasager“) und prodeutschen Gegnern des Statuts („Neinsager“) hoch. Im zurückliegenden Jahrzehnt hatte sich viel Groll aufgespeichert, diagnostizierte damals die „Frankfurter Allgemeine“: „Er bildete sich, weil die Parteien und Gruppen, die die Zugehörigkeit des Saargebietes zu Deutschland verfechten, bisher unterdrückt waren.“
Über die Aussichten der prodeutschen Gegner des Saarstatuts und des Ministerpräsidenten Hoffmann machte man sich in der Bundesrepublik keine großen Illusionen. So meinte „Die Zeit“aus Hamburg: „Sie treten gegen eine überwältigende Übermacht an, die ihnen von vornherein geringe Chancen lässt.“
Doch das Blatt irrte sich wie viele andere. Am Ende des Abstimmungskampfes standen die Ablehnung des Saarstatuts und das Scheitern der saarländischen Eigenstaatlichkeit. Am Neujahrstag 1957 wurde die Saar deutsches Bundesland.