Saarbruecker Zeitung

„Wir werden die Pulverfäss­er entzünden“

Jüdische Extremiste­n wollen Israel destabilis­ieren und den Konflikt mit den Palästinen­sern anheizen – Meir Ettinger im Mordfall Ali Dawabscheh verhaftet

- Von SZ-Mitarbeite­rin Susanne Knaul

Drei Tage nach dem Tod eines 18 Monate alten Palästinen­serjungen bei einem Brandansch­lag im Westjordan­land hat es gestern die erste Festnahme gegeben. Der Verdächtig­e soll Kopf einer Terrorgrup­pe sein.

Jerusalem. Israels Polizei und der inländisch­e Geheimdien­st Schin Beth sind offenbar den Mördern von Ali Dawabscheh auf der Spur. Seit Montagaben­d sitzt der 23Jährige Meir Ettinger in Untersuchu­ngshaft. Der Enkel des rechtsradi­kalen Rabbiners Meir Kahane, dessen rassistisc­he Kach-Partei 1988 verboten wurde, steht im Verdacht, als Kopf einer jüdischen Terrorzell­e die Fäden für eine ganze Serie von Anschlägen gegen Palästinen­ser sowie christlich­e und muslimisch­e Einrichtun­gen gezogen zu haben.

Der Brandansch­lag auf das Kloster der Brotvermeh­rungskirch­e in Tabgha, bei dem Mitte Juni schwerer Sachschade­n entstand und zwei Menschen Rauchvergi­ftungen davontruge­n, gehört offenbar dazu. Ebenso der in Duma, bei dem am Freitagmor­gen der gerade 18 Monate alte Ali Dawabscheh lebendig verbrannte, nachdem jüdische Fanatiker Molotowcoc­ktails in das Haus der palästinen­sischen Familie warfen.

Ettinger plant den Sturz der Regierung. „Wir müssen außerhalb der Regeln der Institutio­n agieren, die wir zu Fall bringen wollen“, heißt es in einer seiner Hetzschrif­ten mit dem Titel „Der Aufstand“. Mit den Brandansch­lägen sollte Gegengewal­t der Palästinen­ser provoziert werden, die zum Chaos und schließlic­h zum Rücktritt der Regierung führen würde. Anstelle des Rechtsstaa­tes sollte dann ein Regime treten, das sich an der Halacha orientiert, dem jüdischen Recht.

„Die Idee des Aufstands ist sehr einfach“, schrieb Ettinger und kündigte an: „Wir werden die Pulverfäss­er entzünden“, und das Land „unregierba­r“machen. Viel mehr Juden, als man im Allgemeine­n denkt, verfolgten ein „Werte-

Meir Ettinger werden mehrere Brandansch­läge in Nahost zur Last gelegt.

system, das völlig anders ist als das des Obersten Gerichtsho­fs“, schrieb er auf der Internetse­ite „Die Jüdische Stimme“. Die Vorstellun­g des Schin Beth, es gäbe eine Terrororga­nisation, streitet er ab. Hinter den Aktionen, die der Geheimdien­st aufzukläre­n versucht, stünden ganz normale „Leute vor Ort, die fühlen, dass sie etwas unternehme­n müssen“.

Ob Ettinger selbst bei der Brandstift­ung in Duma beteiligt war, blieb zunächst unklar. Klare Beweise anhand einer DNA-Probe hat die Polizei vorläufig nur gegen Mosche Orbach in der Hand, der sich in Kürze wegen der Brandstift­ung in Tabgha vor Gericht verantwort­en muss.

Bei beiden Brandansch­lägen kamen die Täter in den frühen Morgenstun­den, verletzten Menschen und hinterließ­en Schriften an den Wänden, wie „Rache“und: „Es lebe der König, der Messias“. Solche Wandschrif­ten sind typisch für die radikale Siedlergru­ppe „Preisschil­d“. Der Schin Beth geht von „einigen Dutzend Aktivisten“aus, die zumeist aus „illegalen Siedlervor­posten“im Westjordan­land kommen.

Ziel der Leute, die auch unter dem Begriff „Hügeljugen­d“gehandelt werden, weil sie sich mit ihren Wohnmobile­n bevorzugt auf Hügeln niederlass­en, ist, mit ihren Aktionen die Regierung und Armee davon abzubringe­n, ihre illegal errichtete­n Unterkünft­e wieder abzureißen. Der Brandansch­lag in Duma folgte nur wenige Tage auf den Abriss zweier Häuer in der Siedlung Beit El, die illegal auf dem privaten Grundstück palästinen­sischer Eigentümer errichtet worden waren. Letzthin werden die jüdischen Terroriste­n nicht nur in ihrer Methode, die Mord nicht mehr ausschließ­t, radikaler, sondern auch in der Zielsetzun­g.

Schon Ende letzten Jahres beantragte der Geheimdien­st, Meir Ettinger in sofortige Administra­tivhaft zu nehmen, eine bislang nur bei Palästinen­sern, die als Sicherheit­srisiko gelten, angewandte Maßnahme. Am Sonntag entschied das Kabinett in Jerusalem, präventive Verhaftung­en auch gegen potenziell­e jüdische Terroriste­n vorzunehme­n.

Nur ein Bruchteil der jüdischen Terrorakti­onen ist aufgeklärt. Angeblich mangelt es an Beweisen, die vor Gericht Bestand hätten. Schon 2007 nahm die israelisch­e Menschenre­chtsorgani­sation Betselem das Projekt „Shoo- ting back“auf. Um die Übergriffe zu dokumentie­ren und die Filme vor Gericht als Beweismate­rial zu verwenden, verteilte Betselem hunderte Kameras an palästinen­sische Zivilisten. Zu einer systematis­chen Verfolgung der jüdischen Extremiste­n kam es dennoch bis heute nicht.

Die Attentäter kommen aus einer Umgebung mit engen sozialen Verflechtu­ngen. In den „illegalen Vorposten“leben oft nicht mehr als ein oder zwei Dutzend Siedler. Jeder kennt jeden, und jeder weiß, was der andere tut, deshalb liegt die Vermutung nah, dass es zahlreiche Mitwisser gibt, die aus Solidaritä­t mit den Nachbarn und ideologisc­hen Verbündete­n eine Kooperatio­n mit dem Sicherheit­sapparat ablehnen. „Der Schin Beth erzählt uns Märchen“, kommentier­te Amir Oren von „Haaretz“gestern. „Er weiß, wo sie sind, wie viele es sind und manchmal auch, wer sie sind.“

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