Saarbruecker Zeitung

Das lange Warten auf Klarheit im NSU-Prozess

Sommerpaus­e im Mammutverf­ahren nach turbulente­n Wochen

- Von Christoph Trost und Christoph Lemmer (dpa)

München. Am letzten Sitzungsta­g vor der Sommerpaus­e im Münchner NSU-Prozess wirkt es fast wie ein Signal: Das Gericht lässt eine Liste mit neuen Terminen verteilen. Die reichen bis September 2016, also mehr als ein Jahr in die Zukunft. Und der Vorsitzend­e Richter Manfred Götzl, das wird aus der Liste deutlich, will das Tempo wieder anziehen: Es soll künftig wieder an drei Tagen pro Woche verhandelt werden – zuletzt waren es maximal zwei.

Götzl will die Turbulenze­n der vergangene­n Wochen endlich hinter sich lassen. Denn wochenlang hatte nicht mehr der eigentlich­e Prozess, hatte nicht die Aufarbeitu­ng der Morde und Anschläge des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“die Schlagzeil­en beherrscht. Stattdesse­n ging es um Verfahrens­fragen, besonders diese: Darf die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe ihre ursprüngli­chen Pflichtver­teidiger behalten? Oder gerät der Prozess ins Wanken? Man konnte zuletzt den Überblick verlieren über die diversen Versuche Zschäpes, den Prozess zu torpediere­n und ihre drei Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm loszuwerde­n. Doch auch mehrere Entpflicht­ungsanträg­e und sogar eine Strafanzei­ge Zschäpes gegen die drei verliefen im Sande.

Trotzdem gab es in dem seit Mai 2013 laufenden Verfahren mit über 220 Verhandlun­gstagen kürzlich eine Zäsur: Das Gericht bestellte den Münchner Mathias Grasel als vierten Verteidige­r. Die Unruhe ist seither massiv gewachsen – und ständig schwingt nun die Frage mit, was Zschäpe und Grasel wohl als Nächstes aushecken. All dies würde das Mammutverf­ahren immer weiter in die Länge ziehen.

Zuletzt war der Prozess eigentlich wieder gut vorangekom­men. „Wir haben alle wesentlich­en Komplexe durch, angefangen von den Morden über die Sprengstof­fanschläge, die Brandstift­ung in der Frühlingst­raße und auch die Raubüberfä­lle“, sagt Bundesanwa­lt Herbert Diemer. Es seien aber „jetzt noch viele Kleinigkei­ten zu machen“. Dass das lange dauert, hält der Bundesanwa­lt für normal: „Wir haben keinen Zeugen, der uns sagen kann, so und so war es. Wir haben Indizien, die müssen alle erhoben werden.“

Und wo steht der Prozess inhaltlich? Haben sich die Vorwür- fe gegen Zschäpe und die vier Mitangekla­gten bislang bestätigt? Kann Zschäpe am Ende tatsächlic­h als Mittäterin an allen Taten des NSU verurteilt werden, so wie es ihr die Anklage vorwirft? Ihre Verteidige­r sehen das nicht. Es gebe nur eine „dünne Tatsacheng­rundlage“, argumentie­rte Anwalt Stahl kürzlich.

Ins Wanken geraten ist nach Einschätzu­ng von Prozessbet­eiligten eine wichtige These der Anklage: Dass die drei mutmaßlich­en Terroriste­n – Zschäpe und ihre toten Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – über die Jahre durchweg zusammenge­wohnt haben sollen. Und eine Frage, die vor allem Nebenkläge­r immer wieder aufwerfen: Kann es wirklich sein, dass der NSU ein derart kleiner Kreis war?

Fakt ist aber: Mit ihren Störmanöve­rn hat Zschäpe sich geschadet. Schließlic­h vermittelt­e sie so das Bild, das die Anklage von ihr zu zeichnen versucht: eine manipulati­ve Person, die die Fäden fest in der Hand hält. War Zschäpe also die „Vorsitzend­e“des NSU? Diese Frage wird das Gericht nach der Sommerpaus­e weiter zu ergründen versuchen. Viele Mosaikstei­ne wurden bereits zusammenge­setzt, viele fehlen allerdings auch noch. Am 2. September geht der Prozess weiter.

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