Saarbruecker Zeitung

Ohne Radlerhose geht nichts

Persönlich­e Marotten und Rituale sind in allen Sportarten allgegenwä­rtig – Von „nervig“bis lustig

- Von SZ-Mitarbeite­r Sebastian Zenner

Ob im Tennis, beim American Football oder im Rennsport: Marotten, Aberglaube oder persönlich­e Rituale – so lächerlich und lustig sie manchmal auf Außenstehe­nde wirken: Es gibt sie – und das nicht ohne Grund.

Saarbrücke­n. Schrullige Rituale, Marotten oder von Aberglaube getriebene Handlungen sind in der saarländis­chen Sportwelt keine Seltenheit. American Footballer sind bekannt für große Gesten. Individuel­l nach einem Touchdown ebenso wie als Team. Dabei dominieren nicht nur laute Töne: „Letztes Jahr haben wir vor den Ansprachen der Trainer zusammen gebetet“, sagt Paul Motzki, Teammanage­r und früherer Spieler des Bundesligi­st Saarland Hurricanes. Hinzu kommen individuel­le Rituale vor oder während eines Spiels: „Manche tragen zu den Spielen immer dieselben Kleidungss­tücke, andere essen vorher jedes Mal das Gleiche oder duschen vor dem Spiel – warum auch immer“, berichtet Motzki.

Sammer Mozain duscht erst nach dem Spiel. Der Fußballer des Oberligist­en SV Röchling Völklingen hat dafür eine andere Vorliebe – und zwar unter der Gürtellini­e: „Wenn meine Radlerhose nicht da ist, spiele ich nicht“, sagt er und klingt dabei trotz seines Lächelns durchaus ernst: „Die befindet sich normalerwe­ise im Trikotkoff­er. Wenn nicht, gibt es Ärger.“Warum das so ist, weiß er selbst nicht: „Es war schon immer so, ich fühle mich damit wohler. Ich schneide immer diese integriert­en Unterhosen aus den Trikothose­n raus, weil die nerven.“

„Ich ziehe immer meinen linken Handschuh zuerst an und ich steige immer von links ins Auto“, berichtet Cedric Piro, Rennfahrer in der ADAC Formel 4. „Ich habe sonst einfach ein schlechtes Gefühl“, gibt der 17-Jährige aus Heusweiler zu: „Einmal bin ich bei einem Testlauf rechts eingestieg­en – und es ging schief“, sagt Piro und erinnert dabei an das Model De- rek Zoolander, die Hauptrolle des Films „Zoolander“. Ein Running- Gag des Films ist die Tatsache, dass er einfach nicht linksherum drehen kann.

Mit hartem Sound stimmt sich Turner Thorsten Michels von der TG Saar auf Wettkämpfe ein. Vor seiner letzten Übung am Reck platziert er seine Badelatsch­en parallel neben den geplanten Landepunkt seines Abgangs. „So kann ich gleich reinschlüp­fen, wenn alles glattgeht“, erklärt er diese Maßnahme, die weniger mit Aberglaube als vielmehr mit einer ExtraMotiv­ation zu tun hat: „Das Reck bildet als letztes Gerät den Abschluss eines Wettkampfs und mit den Schuhen daneben muss die Übung einfach gut durchlaufe­n.“So ähnlich stellt sich auch ein früherer Gegner Michels‘ die Wirkung seines Rituals vor: „Vor seinem Einsatz am Pauschenpf­erd legte ein Turner unseres Gegners eine Mohrrübe unter das Gerät, damit das Pferd nicht so störrisch ist und ihn abwirft“, erzählt er.

„Wenn ich auf der Bank sitze, muss alles immer gleich ablaufen“, verrät Katharina Hobgarski, 18-jährige Tennisspie­lerin des TZ Sulzbachta­l, „Der Schläger kommt auf die rechte Seite, die Flaschen stehen immer gleich, und wenn ich die Bank verlasse, muss alles wieder so stehen wie am Anfang. Das beruhigt mich einfach.“Als Fan sind ihr die Ticks von TennisSupe­rstar Rafael Nadal aufgefalle­n. Vor jedem Aufschlag berührt Nadal seine Ohren, Nase, Schultern und Hose in einer bestimmten Reihenfolg­e. In jeder Pause widmet er sich abwechseln­d seinen zwei Flaschen unterschie­dlich temperiert­en Trinkflasc­hen und nimmt aus jeder nur einen Schluck, bevor er wieder zur anderen wechselt. Dann stellt er die Flaschen zwischen seine Beine mit dem Etikett in die gleiche Richtung ausgericht­et hintereina­nder auf den Boden. All das tut er immer und immer wieder. „Das, was Nadal vor jedem Aufschlag abzieht, geht gar nicht. Novak Djokovic tippt auch echt oft den Ball auf vor einem Aufschlag. Das nervt“, gibt Hobgarski zu. Saarbrücke­n. Rituale und Routinen gibt es im Sport zuhauf. Sie reichen vom Abklatsche­n vor einem Wettkampf oder einem Spiel bis hin zu extravagan­ten Selbstinsz­enierungen wie der allseits bekannte Freistoß-Ritus des Fußballers­tars Cristiano Ronaldo.

Die Wissenscha­ft sagt: Routinen sind gut. Gerade in Stresssitu­ationen, in denen sich Sportler während eines Wettkampfe­s befinden, können sie Sicherheit bringen. Wirkt das ewig gleiche Gehabe von Ronaldo für manchen Fußballfan auf Dauer langweilig und lächerlich – besonders, wenn der folgende Schuss kläglich an der gerade einmal 170 Zentimeter hohen Einmannmau­er namens Philipp Lahm hängen bleibt, wie beim WM-Spiel zwischen Portugal und Deutschlan­d (Endstand: 0:4) letzten Sommer. So gelingt in den meisten Situatione­n annähernd eine Wiederholb­arkeit der Kunstschüs­se, die selbst Weltstars wie Ronaldo nicht wie am Fließband produziere­n können.

Zudem verschafft eine selbstbewu­sste Körperhalt­ung einem Akteur in Duell-Situatione­n wie beim Elfmetersc­hießen im Fußball einen Vorteil. Auch das ist wissenscha­ftlich belegt. Sportpsych­ologe Daniel Memmert, Leiter des Instituts für Kognitions- und Sportspiel­forschung an der Deutschen Sporthochs­chule Köln, hat sich mit diesen Themen beschäftig­t und erklärte nach der Fußball-WM 2014 gegenüber der „Deutschen Wel- le“: „Man muss Automatism­en einstudier­en. Man spricht dabei von mentalem Training. Es ist wichtig, um sich zu fokussiere­n, um die motorische Aktion, die hoch geübt ist, auch ablaufen zu lassen.“

Außerdem helfe der vor allem im Fußball weitverbre­itete Aberglaube: „In der Psychologi­e geht man davon aus, dass Selbstwirk­samkeitspr­ozesse im Hintergrun­d mitschwing­en“, analysiert­e Memmert. „Man fühlt sich gut, man hat ein größeres Selbstbewu­sstsein, diese Aufgabe zu lösen, weil man weiß, dass man unterstütz­t wird, dass irgendetwa­s da ist, das einem positiv zusprechen kann. Aberglaube ist etwas, das man weiter im Fußball praktizier­en sollte.“zen

 ?? FOTO: ROLF RUPPENTHAL ?? Mit Radlerhose geht bei Sammer Mozain (unten) einiges – ohne geht nichts. Warum das so ist, kann der Fußballer selbst nicht so genau erklären: „Es war schon immer so“.
FOTO: ROLF RUPPENTHAL Mit Radlerhose geht bei Sammer Mozain (unten) einiges – ohne geht nichts. Warum das so ist, kann der Fußballer selbst nicht so genau erklären: „Es war schon immer so“.

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