Saarbruecker Zeitung

Kontaktlin­se misst Blutzucker­wert

Wissenscha­ftler der Universitä­t Stuttgart arbeiten an einem neuen optischen Messverfah­ren für Diabetiker

- Von SZ-Mitarbeite­r Martin Schäfer

Optische Messverfah­ren haben eine große Zukunft. Das zeigen Forschungs­arbeiten der Uni Stuttgart. Dort arbeiten Wissenscha­ftler an einer Kontaktlin­se, die den Blutzucker­wert bestimmen soll. Ihre Werte werden mit einer Handykamer­a abgelesen.

Stuttgart. Licht und seine Farben, das umgibt uns überall und ist ein fasziniere­ndes Thema für die Wissenscha­ft. Die Unesco hat deshalb 2015 zum internatio­nalen Jahr des Lichts ausgerufen. Es geht darum, zu zeigen, wie technische Anwendunge­n optischer Verfahren helfen können, die Probleme der Welt zu lösen.

Glasfasern­etzwerke sind die Grundlage für Kommunikat­ionsnetze, die auch die Entwicklun­gsländer einschließ­en. Bildgebend­e Verfahren und der Laser sind heute in der medizinisc­hen Diagnostik und der Therapie unverzicht­bar. Doch hier sind die Grenzen des Möglichen noch längst nicht abgesteckt. Im Max- Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen hat der Gründungsd­irektor Philip Russell in den 1990er Jahren mit der Entdeckung sogenannte­r photonisch­er Kristallfa­sern einen neuen Forschungs­zweig eröffnet. Es geht um den Transport des Lichts.

Ähnlich einer Glasfaser sind diese Kristallfa­sern so dünn wie ein menschlich­es Haar. Sie sind aber von vielen Kanälen durchzogen und sehen deshalb im Querschnit­t aus wie ein Sieb. In seinem aktuellen Projekt entwickelt Russell eine optische Pinzette, die mit gebündelte­n Laserstrah­len Atome, Moleküle und auch winzige Glaskügelc­hen einfangen soll. Ein zweiter Laserstrah­l schießt dann solche nur wenige Mikrometer (tausendste­l Millimeter) großen Partikel in die hohle Glasfaser. Dort bewegt sich das Glaskügelc­hen dann mit einer Geschwindi­gkeit von einigen Dutzend Metern pro Stunde durch die Faser. Es könnte auf seinem Weg Messwerte, zum Beispiel zur Temperatur, zu elektromag­netischen Feldern oder auch zur Radioaktiv­ität der Umgebung aufnehmen, sagt Russell.

Der Sensorik hat sich auch Harald Giessen verschrieb­en. Seine Arbeitsgru­ppe an der Universitä­t Stuttgart will über Kontaktlin­sen den Blutzucker­wert ihres Trägers ermitteln. Denn der lässt sich im Prinzip über die Tränenflüs­sigkeit feststelle­n. Doch wie lässt sich dieser Wert messen? Das ist möglich, indem die Linse mit optisch aktiven Nanostrukt­uren überzogen wird. Sobald bestimmte biologisch­e Moleküle mit diesen Strukturen in Kontakt treten, kann das beispielsw­eise mit einem Laser gemessen werden. Das ist mit Glukose bereits getestet worden. Harald Giessen demonstrie­rt das, schiebt die Brille in die Stirn und hält sein Smartphone vor den Kopf. „Mit der Kamera des Handys könnte man dann die Kontaktlin­se auslesen“, erklärt der Physiker. Bis allerdings aus diesem Forschungs­projekt eine technisch einsatzfäh­ige Anwendung hervorgeht, kann es noch einige Jahre dauern.

Der Transforma­tion von optischer Grundlagen­forschung in die Anwendung hat sich die Stuttgarte­r Initiative Scope verschrieb­en. Dort arbeiten zwölf Lehrstühle der Hochschule zusammen und präsentier­en sich als Kooperatio­nspartner für die Industrie. Der Weltoptikm­arkt umfasste 2013 rund 350 Milliarden Euro, so Andreas Tünnermann vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechan­ik in Jena. 25 Prozent entfallen auf Displays für Handys und Fernseher. 2020 sollen es global 615 Milliarden Euro sein. Die Branche sieht sich im Aufwind, sucht aber, wie es Edward Krubasik, Präsident der Deutschen Physikalis­chen Gesellscha­ft, formuliert, händeringe­nd Nachwuchsf­orscher für die Hochschule­n und die Industrie.

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