Kontaktlinse misst Blutzuckerwert
Wissenschaftler der Universität Stuttgart arbeiten an einem neuen optischen Messverfahren für Diabetiker
Optische Messverfahren haben eine große Zukunft. Das zeigen Forschungsarbeiten der Uni Stuttgart. Dort arbeiten Wissenschaftler an einer Kontaktlinse, die den Blutzuckerwert bestimmen soll. Ihre Werte werden mit einer Handykamera abgelesen.
Stuttgart. Licht und seine Farben, das umgibt uns überall und ist ein faszinierendes Thema für die Wissenschaft. Die Unesco hat deshalb 2015 zum internationalen Jahr des Lichts ausgerufen. Es geht darum, zu zeigen, wie technische Anwendungen optischer Verfahren helfen können, die Probleme der Welt zu lösen.
Glasfasernetzwerke sind die Grundlage für Kommunikationsnetze, die auch die Entwicklungsländer einschließen. Bildgebende Verfahren und der Laser sind heute in der medizinischen Diagnostik und der Therapie unverzichtbar. Doch hier sind die Grenzen des Möglichen noch längst nicht abgesteckt. Im Max- Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen hat der Gründungsdirektor Philip Russell in den 1990er Jahren mit der Entdeckung sogenannter photonischer Kristallfasern einen neuen Forschungszweig eröffnet. Es geht um den Transport des Lichts.
Ähnlich einer Glasfaser sind diese Kristallfasern so dünn wie ein menschliches Haar. Sie sind aber von vielen Kanälen durchzogen und sehen deshalb im Querschnitt aus wie ein Sieb. In seinem aktuellen Projekt entwickelt Russell eine optische Pinzette, die mit gebündelten Laserstrahlen Atome, Moleküle und auch winzige Glaskügelchen einfangen soll. Ein zweiter Laserstrahl schießt dann solche nur wenige Mikrometer (tausendstel Millimeter) großen Partikel in die hohle Glasfaser. Dort bewegt sich das Glaskügelchen dann mit einer Geschwindigkeit von einigen Dutzend Metern pro Stunde durch die Faser. Es könnte auf seinem Weg Messwerte, zum Beispiel zur Temperatur, zu elektromagnetischen Feldern oder auch zur Radioaktivität der Umgebung aufnehmen, sagt Russell.
Der Sensorik hat sich auch Harald Giessen verschrieben. Seine Arbeitsgruppe an der Universität Stuttgart will über Kontaktlinsen den Blutzuckerwert ihres Trägers ermitteln. Denn der lässt sich im Prinzip über die Tränenflüssigkeit feststellen. Doch wie lässt sich dieser Wert messen? Das ist möglich, indem die Linse mit optisch aktiven Nanostrukturen überzogen wird. Sobald bestimmte biologische Moleküle mit diesen Strukturen in Kontakt treten, kann das beispielsweise mit einem Laser gemessen werden. Das ist mit Glukose bereits getestet worden. Harald Giessen demonstriert das, schiebt die Brille in die Stirn und hält sein Smartphone vor den Kopf. „Mit der Kamera des Handys könnte man dann die Kontaktlinse auslesen“, erklärt der Physiker. Bis allerdings aus diesem Forschungsprojekt eine technisch einsatzfähige Anwendung hervorgeht, kann es noch einige Jahre dauern.
Der Transformation von optischer Grundlagenforschung in die Anwendung hat sich die Stuttgarter Initiative Scope verschrieben. Dort arbeiten zwölf Lehrstühle der Hochschule zusammen und präsentieren sich als Kooperationspartner für die Industrie. Der Weltoptikmarkt umfasste 2013 rund 350 Milliarden Euro, so Andreas Tünnermann vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik in Jena. 25 Prozent entfallen auf Displays für Handys und Fernseher. 2020 sollen es global 615 Milliarden Euro sein. Die Branche sieht sich im Aufwind, sucht aber, wie es Edward Krubasik, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, formuliert, händeringend Nachwuchsforscher für die Hochschulen und die Industrie.