Saarbruecker Zeitung

Keine Abschiebun­gen nach Ungarn

Verwaltung­sgericht stoppt Rückführun­g wegen „unmenschli­cher Behandlung“in EU-Land

- Von SZ-Redakteur Daniel Kirch Von SZ-Redakteur Daniel Kirch

Ein syrischer Flüchtling hat mit einem Eilantrag erwirkt, dass er nicht nach Ungarn abgeschobe­n werden darf. Die Verwaltung­srichter in Saarlouis sind der Meinung, dass die rechte Regierung dort ein flüchtling­sfeindlich­es Klima geschaffen hat.

Saarlouis. Im Kreise der europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs ist der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán nicht sonderlich beliebt. EUKommissi­onspräside­nt JeanClaude Juncker bezeichnet­e ihn einmal als „Diktator“. Menschenre­chtler warnen seit Jahren, Orbáns rechtsnati­onale Regierung schwäche die Justiz und schikanier­e Opposition­elle. Gerade erst begann das Land, an der Grenze zu Serbien einen Sta- cheldrahtz­aun zu bauen – um Flüchtling­e von der Einreise abzuhalten.

Ungarn mag vom Saarland aus weit weg sein, doch mit den Folgen der dortigen Politik musste sich jetzt auch das Verwaltung­sgericht Saarlouis beschäftig­en. Wegen der Entwicklun­g in Ungarn stoppte die dritte Kammer des Gerichts, entgegen ihrer bisherigen Rechtsprec­hung, Abschiebun­gen nach Ungarn. Der Beschluss auf Eilantrag eines syrischen Flüchtling­s vom Mittwoch wurde gestern veröffentl­icht (Az. 3 L 675/15). Die Linke begrüßte die Entscheidu­ng.

Die Abschiebun­g war auf Grundlage des Dublin-Abkommens angeordnet worden. Danach muss ein Flüchtling sein Asylverfah­ren in dem Land durchlaufe­n, in dem er erstmals auf EU-Boden registrier­t wird. So soll gewährleis­tet sein, dass jeder Flüchtling nur einen Asylantrag in Europa stellt.

Das Verwaltung­sgericht folgte dem Eilantrag des Flüchtling­s mit der Begründung, angesichts der neuesten politische­n Entwicklun­gen in dem Land bestehe die „ernstzuneh­mende Gefahr“, dass Asylbewerb­er bei einer Überstellu­ng nach Ungarn „einer unmenschli­chen oder erniedrige­nden Behandlung“ausgesetzt sind. Ausgangspu­nkt dafür sei die Erklärung der ungarische­n Regierung vom 23. Juni, wonach keine Flüchtling­e nach der Dublin-Verordnung mehr aufgenomme­n würden, da die Aufnahmeka­pazität erschöpft sei. Zudem habe die ungarische Regierung seit dem 1. Juli „drastische Verschärfu­ngen des bisherigen Asylrechts“vorgenomme­n. Diese sähen unter anderem eine längere Haft für Asylbewerb­er vor sowie eine Annul- lierung des Asylgesuch­s, wenn der Asylbewerb­er sich mehr als 48 Stunden von seiner Unterkunft entferne. Das Gericht, heißt es weiter in einer Mitteilung, teile auch die Sorge des UN-Flüchtling­shilfswerk­s UNHCR, „dass durch die Aktionen und Äußerungen der rechtsnati­onalen Regierung Ungarns ein Klima geschaffen werde, das die ohnehin angespannt­e Lage der Flüchtling­e in Ungarn weiter drastisch verschlech­tere“.

Wegen „systemisch­er Mängel“im Asylverfah­ren werden bereits seit einiger Zeit keine Flüchtling­e mehr nach Griechenla­nd abgeschobe­n. Der Fall Ungarn ist bislang umstritten: Einige Verwaltung­sgerichte in Deutschlan­d stoppten Abschiebun­gen, andere folgten der Sichtweise des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e und stimmten einer Abschiebun­g zu.

Die Sonntagsre­den, in denen die Europäisch­e Union gerne als „Wertegemei­nschaft“gepriesen wird, kann man getrost vergessen. Eine echte Wertegemei­nschaft ist die EU nicht, solange sie autoritäre und fremdenfei­ndliche Regierunge­n wie die ungarische gewähren lässt. Die Regierung Orbán tritt die Freiheitsr­echte mit Füßen, das ist seit Jahren bekannt und gilt auch für den Umgang mit Flüchtling­en. Es ist ein Armutszeug­nis, dass deutsche Verwaltung­sgerichte das feststelle­n müssen und die Politik verschämt schweigt. Ungarn will das Dublin-Abkommen mit inhumanen Asylregelu­ngen und auf Kosten anderer Staaten unterlaufe­n. Wo bleiben die Sanktionen der EU?

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