Saarbruecker Zeitung

Japans Rückkehr zum Atomstaat

Viereinhal­b´ Jahre nach Fukushima fährt die Regierung den ersten Meiler im Südwesten hoch

- Von dpa-Mitarbeite­r Lars Nicolaysen

Fukushima, war da was? Japan setzt trotz der Atomkatast­rophe von vor vier Jahren weiter auf Atom. Der erste Meiler geht jetzt wieder ans Netz. Doch ein Zurück zum „business as usual“wird es kaum geben.

Kagoshima. „Stoppt das Wiederanfa­hren“, „Weg mit den Atomkraftw­erken“– vor den Toren des AKW Sendai im südwestlic­hen Zipfel von Japan schallen Protestruf­e durch die brütend heiße Sommerluft. Hunderte besorgte Bürger haben sich an diesem Montag mit Protesttra­nsparenten versammelt, um ihren Widerstand gegen das für den kommenden Tag geplante Wiederanfa­hren eines der beiden Reaktoren in Kagoshima kundzutun. Doch egal wie laut sie rufen, beim rechtskons­ervativen Ministerpr­äsidenten Shinzo Abe im rund tausend Kilometer entfernten Tokio stoßen die Protestruf­e auf taube Ohren.

Für den atomfreund­lichen Regierungs­chef ist die Rückkehr zur Atomkraft nach fast zwei Jahren Stillstand sämtlicher Reaktoren im Land als Folge der Atomkatast­rophe in Fukushima ein Sieg – zumindest fürs Erste. Abe besteht darauf, dass die rohstoffar­me drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt auf Dauer nicht unter der Last teurer Importe an Öl und Gas bestehen könne. Doch viele im Volk sind skeptisch. Auch viereinhal­b Jahre nach der Atomkatast­rophe in Fukushima spricht sich die Mehrheit der Japaner in Umfragen gegen eine Rückkehr zur Atomkraft aus – trotz steigender Stromrechn­ungen.

Die Atomkatast­rophe von Fukushima war nach Ansicht von Kritikern nicht zuletzt eine Fol- ge der Kungelei zwischen der Regierung, der Atomaufsic­ht und dem Betreiber Tepco. Genau dieses als „Atomdorf“bekannte Netzwerk, zu dem viele auch Japans staatstrag­ende Medien zählen, sehen Kritiker nun wieder am Werk. „Diese Akteure in dem Atomdorf, das Japan die Fukushima-Daiichi-Tragödie eingebrock­t hat, versuchen jetzt, die Atomenergi­e wieder anzutreibe­n“, sagt Shaun Burnie, Atomexpert­e bei Greenpeace.

Dabei hatte es für kurze Zeit so ausgesehen, als werde Japan dem Beispiel Deutschlan­ds folgen und ganz aus der Atomenergi­e aussteigen. Abes Vorgänger Yoshihiko Noda verkündete im September 2012, Japan werde bis Ende der 2030er Jahre aus der Atomenergi­e aussteigen. Doch dann erlitt Nodas Partei eine verheerend­e Wahlnieder­lage und Abes Liberaldem­okratische Partei LDP kehrte an die Macht zurück. Jene LDP, die verantwort­lich für eine Atompoliti­k ist, bei der jahrzehnte­lang Sicherheit­sfragen wie in Fukushima vernachläs­sigt worden waren.

Dieses Bild ging um die Welt: Es zeigt die Explosion eines Reaktorgeb­äudes in Fukushima am 12. März 2011.

Heute gibt die Regierung vor, aus Fukushima gelernt zu haben. Neue Sicherheit­sstandards wurden erlassen, angeblich „die strikteste­n in der Welt“. Japan habe nichts aus Fukushima gelernt, beklagt dagegen Shoji Takagi, der eine Bürgergrup­pe nahe dem AKW Sendai leitet. Der Reaktor sei mehr als 30 Jahre alt, genau wie sämtliche der Unglücksre­aktoren in Fukushima. Dass ein solch alter Reaktor jetzt als erster für sicher erklärt wur- de, „ist nicht zu begreifen“, sagte Takagi. Trotzdem dürfte auch Block 2 im Oktober ans Netz gehen. Ein weiterer Reaktor auf der Insel Shikoku könnte bis März 2016 folgen.

Ein Zurück zu der Zeit vor Fukushima, als die Atomenergi­e rund 30 Prozent zur Stromverso­rgung in Japan beitrug, wird es aber wohl kaum geben. Die Regierung hat als neue Zielgröße einen Anteil von 20 bis 22 Prozent bis zum Jahr 2030 ausgege-

ben. Doch Kritiker halten selbst das für unwahrsche­inlich. Zum einen wegen des Widerstand­s im Volk, zum anderen, weil einige der derzeit auf dem Prüfstand stehenden Meiler zu alt seien und kaum die neuen Sicherheit­sauflagen erfüllen könnten. Hinzu kommt Konkurrenz durch erneuerbar­e Energien. 2016 wird zudem der Strommarkt in Japan für Haushalte liberalisi­ert.

Tatsächlic­h haben alternativ­e Energien in den vergangene­n vier Jahren ein deutliches Wachstum erlebt. Manche Fachleute schätzen Japans Potenzial sogar noch größer ein als Deutschlan­ds. Doch Japans Atomlobby kämpft. Und sie hat in der jetzigen Regierung und der Wirtschaft starke Verbündete. Werden die alternativ­en Energien aber weiter gebremst und die Atomkraft zugleich nicht so ausgebaut wie geplant, wird Japan als Konsequenz noch mehr Kohle und Gas verbrennen. Mit entspreche­nden Folgen für das Klima. Wie sich Japans Energiezuk­unft genau gestalten wird, bleibt also abzuwarten.

 ?? FOTO: AFP ?? Streng bewacht von Polizisten schließt Japan in Kagoshima wieder den ersten Meiler seit dem Gau von Fukushima ans Stromnetz an.
FOTO: AFP Streng bewacht von Polizisten schließt Japan in Kagoshima wieder den ersten Meiler seit dem Gau von Fukushima ans Stromnetz an.
 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany