Saarbruecker Zeitung

Wenn Hipos Franzosen ignorieren

Parksünder aus Frankreich werden in Saarbrücke­n oft nicht verfolgt

- Von SZ-Redakteur Michael Jungmann

Wegen einer EU-Richtlinie wurden in Saarbrücke­n Parksünden ausländisc­her Fahrer nicht mehr geahndet. Die Daten der Fahrzeugha­lter dürfen nicht per Polizeicom­puter abgefragt werden.

Saarbrücke­n. Tatort Saarbrücke­n City. Fünf Autos stehen in einer Seitenstra­ße im Halteverbo­t. Ein Mitarbeite­r des städtische­n Ordnungsam­tes ist schon bei der Arbeit, nimmt die Kennzeiche­n von vier Falschpark­ern auf, dokumentie­rt die Lage mit Handyfotos und hängt Verwarnung­szettel an die Windschutz­scheiben. Einen Parksünder ignoriert der Hilfspoliz­ist (Hipo) aber, lässt ihn links liegen. Das Fahrzeug ist in Frankreich zugelassen. „Ich mache doch keine Arbeit für die Katz“, sagt der Mann im blauen Hemd. Der Kurzkommen­tar des städtische­n Ordnungshü­ters hat einen konkreten Hintergrun­d. Beim Ordnungsam­t der Stadt existierte seit Ende Juni eine interne Verfügung der Amtsleiter­in mit der Überschrif­t EU-Richtlinie 2011/ 82. Darin heißt es ausdrückli­ch, dass wegen dieser Richtlinie ab dem 1. Juli 2015 „Abfragen ausländisc­her Halterdate­n zur Überwachun­g des ruhenden Verkehrs nicht mehr zulässig sind“. Thomas Blug, Pressespre­cher der Stadt, bestätigte auf Nachfrage unserer Zeitung die Existenz der Dienstanwe­isung. Demnach durften keine Daten ausländisc­her Fahrzeugbe­sitzer mehr über den Polizeicom­puter und das europäisch­e Fahrzeugun­d Führersche­ininformat­ionssystem abgefragt werden. Als Grund dafür wird die EU-Richtlinie genannt. Darin werden die Verkehrsde­likte aufgeliste­t, für die grenzübers­chreitende­r Datenausta­usch erlaubt ist. Verstöße im ruhenden Verkehr sind nicht ausdrückli­ch aufgeführt. Weil eben Parksünder in dieser Aufzählung fehlen, sind Experten im Ordnungsam­t und beim Landesverw­altungsamt der Auffassung, dass bei ausländisc­hen Falschpark­ern der Polizeicom­puter nicht gefragt werden darf.

Dies hatte zur Konsequenz, dass etwa im Juli in Saarbrücke­n kaum einer der 1143 gezählten Parksünder aus Frankreich oder der 70 Luxemburge­r, um nur zwei von 19 Nationen zu nennen, tatsächlic­h geahndet wurden. Eine Ausnahme gab es nur, wenn der Hipo eher zufällig vor Ort die Daten bei dem Fahrer erheben konnte.

Obwohl es in der Ordnungsam­ts-Verfügung, die unserer Zeitung vorliegt, heißt, die Anweisung erfolge „in Abstimmung mit der Amtsleitun­g und der Verwaltung­sspitze“betont Blug mit Nachdruck, dass weder Oberbürger­meisterin Charlotte Britz noch Bürgermeis­ter Ralf Latz oder ein Dezernent überhaupt davon Kenntnis hatten. Erst durch SZ-Recherchen sei man darauf aufmerksam geworden. In einer eilig anberaumte­n Krisensitz­ung hat OB Britz ein Machtwort gesprochen. Es wurde daraufhin angeordnet, dass ausländisc­he Verkehrssü­nder weiter von der Stadt mit Beträgen zwischen zehn und 35 Euro zur Kasse gebeten werden sollen. Verwaltung­sdezernent Jürgen Wohlfahrt steht sogar auf dem Standpunkt: Die viel zitierte EU-Richtlinie habe „keine Relevanz für uns“. In den eigenen Ordnungsam­tsstuben waren leitende Mitarbeite­r nicht ganz Wohlfahrts Meinung.

17 000 Falschpark­er aus Frankreich brachten der klammen Stadt im letzten Jahr rund 277 000 Euro in die Kassen. 1200 Luxemburge­r überwiesen immerhin 19 000 Euro.

Reagierten bislang die von der Stadt Saarbrücke­n zur Zahlung aufgeforde­rten Falschpark­er aus Frankreich oder anderen Staaten nicht, gab das Rathaus die Vorgänge an die Zentrale Bußgeldbeh­örde beim Landesverw­altungsamt ab. Auch die dem Innenminis­terium unterstell­te Behörde gibt sich jetzt offenbar mit Hinweis auf die EU-Richtlinie geschlagen. Die Halterabfr­age per Polizeicom­puter sei nicht zulässig. Eine Ahndung der von Ausländern verursacht­en Parkverstö­ßen erfolge nur dann, wenn Halterdate­n „unmittelba­r vor Ort von der betroffene­n Person oder in anderer gesetzesko­nformer Weise erlangt wurden“.

Dies hat zur Konsequenz, dass der Großteil der von der Stadt Saarbrücke­n abgegebene­n Fälle eingestell­t wurde. Seit Januar 2015 schickte die Landeshaup­tstadt etwa 1812 Fälle an die zentrale Bußgeldste­lle, die davon 1329 einstellte. Dies sind mehr Einstellun­gen als im gesamten Jahr 2014 (insgesamt: 1231). Nur 90 Fälle wurden abgeschlos­sen, 393 sind noch unerledigt. Ande- re Kommunen gaben weitere 158 Fälle ab, von denen 109 eingestell­t und 36 abgeschlos­sen wurden. Der Saarbrücke­r Hipo notiert und fotografie­rt jetzt nach dem Machtwort seiner Oberbürger­meisterin wieder die Falschpark­er aus dem Ausland. Die Daten werden später auch erfasst, die Polizei muss aber die städtische­n Anfragen nach Halterdate­n weiter ab-

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