Saarbruecker Zeitung

Willkommen in Marpingen

Wie Bürger im Nordsaarla­nd Flüchtling­en nach der Ankunft in den Kommunen helfen

- Von SZ-Redakteur Florian Rech

Seit Oktober 2014 werden Flüchtling­e aus Syrien und dem Irak in saarländis­chen Kommunen untergebra­cht. 55 von ihnen leben zurzeit in der Gemeinde Marpingen. Ehrenamtli­che Helfer setzen sich dort mit Herzblut für die Neuankömml­inge ein.

Marpingen. Wenn die beiden Söhne von Walaa und Amer Al Kalish Flugzeuge sehen, beginnen sie zu zittern. In ihrem noch kurzen Leben haben sie nichts außer dem Krieg erlebt und kennen Flugzeuge nur als Überbringe­r einer tödlichen Fracht. Vor Bomben und Granaten flüchtete die Familie Al Kalish aus Syrien. Ihre Habe, ihre Freunde und Verwandten, ihre Heimat, ihre ganze Existenz mussten sie zurücklass­en. Sie flüchtete durch Gebirge, Wüsten und das Mittelmeer, ging durch die Hände von Schleppern, Schleusern und Behörden. Seit dem 27. April fühlen sich die Al Kalishs wieder sicher. An diesem Tag durften die vier Syrer die Landesaufn­ahmestelle in Lebach verlassen und zogen in eine Wohnung in Marpingen.

Heute spielen die beiden Jungs zwischen den Stühlen im gut gefüllten Jugendcafé im Marpinger Ortskern. Rund um die Spielenden hängen 30 Flüchtling­e aus Syrien und dem Irak an den Lippen einer jungen Frau. „Ich gehe, du gehst, sie geht!“Laut konjugiert Reka Klein wichtige deutsche Verben durch. „Jetzt du, Walaa“, fordert Klein die 25-jährige Syrerin auf. Etwas schüchtern aber korrekt antwortet Walaa Al Kalish auf die Fragen ihrer Lehrerin. „Super! Richtig gut“, lobt Klein.

Reka Klein und zwei weitere Lehrerinne­n engagieren sich für das „Netzwerk für Flüchtling­e Marpingen“. Eine Initiative ehrenamtli­cher Helfer, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Neuankömml­inge in ihrer Kommune zu unterstütz­en. Dazu gehören auch drei Deutschkur­se pro Woche. „Das größte Problem der Flüchtling­e ist die Sprachbarr­iere“, sagt Klein. „Viele sprechen ausschließ­lich Arabisch und können auch unsere Schrift nicht lesen.“Einen Anspruch auf einen staatliche­n Sprachkurs haben die Asylbewerb­er noch nicht. Ohne Hilfe könnten sie sich in ihrer neuen Umgebung nicht verständig­en, nicht mit Behörden kommunizie­ren. Also springen in Marpingen die Ehrenamtle­r in die Bresche und kümmern sich um die 55 Flüchtling­e in der Gemeinde. Reka Klein, gelernte Ergotherap­eutin, unterricht­et mit Begeisteru­ng. Immer wieder motiviert sie ihre bunt zusammenge­würfelte Gruppe. Jesiden aus dem Irak lernen und lachen in Marpingen gemeinsam mit Muslimen und Christen aus Syrien. Ältere Männer sitzen neben jungen Frauen mit rot gefärbten Haaren und solchen mit Kopftuch.

Amer Al Kalish, seine Frau Walaa und die beiden Söhne sind neu in Marpingen. Doch sie sind nicht allein. Schon bei ihrer Ankunft aus der Landesaufn­ahmestelle wurden sie erwartet. Christa und Josef Staub standen schon am Marpinger Rathaus bereit. Das Ehepaar gehört zu den 15 Paten des Netzwerks für Flüchtling­e. „Wir helfen der Familie mit der Post, haben ihr ein Bankkonto eingericht­et und geholfen, die Kinder im Kindergart­en anzumelden“, erklärt Christa Staub. Die ehrenamtli­chen Paten sind bei Behördengä­ngen dabei und helfen überall, wo es hakt. Ein Kühlschran­k oder ein Fahrrad muss her? Die Paten fragen in ihrem Umfeld nach Spenden. Eine Behörde schickt einen Antrag mit der Post? Die Freiwillig­en helfen mit der Übersetzun­g und machen sich im Internet schlau. „Ich habe in den letzten Monaten viel über unsere eigenen Sozial- und Asylgesetz­e gelernt“, sagt Josef Staub. Seine Frau sieht die Begegnung mit der Familie Al Kalish als Bereiche- rung. „Wir bekommen sehr viel Herzlichke­it zurück“, sagt sie.

Mit allem hat Amer Al Kalish gerechnet, aber nicht mit so viel Hilfsberei­tschaft. „Wir konnten es nicht glauben, am ersten Tag hier hat uns unsere Nachbarin einen Kuchen vorbei gebracht. Die Menschen hier sind großartig, freundlich und sehr offen“, erzählt der 33-jährige Syrer. Die Familie ist auch froh, dass sie nicht lange in Lebach bleiben musste. „Seit wir in Marpingen sind, haben wir das erste Mal seit unserer Flucht endlich wieder Privatsphä­re“, sagt Walaa Al Kalish. Auch bei ihren Kindern bemerkt die 25-Jährige eine Veränderun­g: „Sie werden die Ereignisse in Syrien und während der Flucht nie vergessen. In den letzen Monaten haben sie kaum noch geredet. Aber seit wir hier sind, hört man sie endlich wieder lachen.“

Kathrin Rauber ist stolz auf die Arbeit der ehrenamtli­chen Flüchtling­shelfer. Die Sozialarbe­iterin ist eigentlich bei der Gemeinde für die Kinder- und Jugendarbe­it zuständig. Doch seit Anfang des Jahres organisier­t sie zusammen mit ihrer Kollegin Angela Ames ehrenamtli­ch das Netzwerk für Flüchtling­e Marpingen. Sie sucht nach Paten, leitet diese an, organisier­t Sachspende­n und bietet Sprechstun­den für Flüchtling­e und Helfer an. „Wir wollen, dass die Menschen hier gut ankommen und ihnen auch etwas bieten. Sie sollen ins Leben im Ort integriert werden.“Doch Rauber und ihre Kollegin arbeiten am Limit. Viel Freizeit bleibt ihnen nicht.

Auch die Verwaltung zeigte sich zunächst überforder­t mit den Flüchtling­en. Diese sprachen kein Deutsch und in den Ämtern konnte niemand Arabisch. Übersetzer gab es nicht. Nach Wochen voller Probleme und Missverstä­ndnisse entwarf Rauber zusammen mit einem Arabisch sprechende­n Arzt Übersetzun­gslisten für Ämter und Paten. Außerdem gibt es nun Info-Material für die Flüchtling­e. „Dort steht alles drin: vom Busfahrpla­n bis zur ordentlich­en deutschen Mülltrennu­ng“, sagt die Sozialarbe­iterin schmunzeln­d.

Die Familie Al Kalish ist froh, in Marpingen ein neues Zuhause gefunden zu haben. „Wir sind in Sicherheit. Hier können wir nachts schlafen, ohne uns Sorgen um Bomben zu machen“, sagt Walaa Al Kalish.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Die syrischen Flüchtling­e Christina Tatar, Sawsan Barhamji und Nariman Aladas (v.l.n.r.) lernen in Marpingen Deutsch. Reka Klein kontrollie­rt ihre Aufgaben.
FOTO: OLIVER DIETZE Die syrischen Flüchtling­e Christina Tatar, Sawsan Barhamji und Nariman Aladas (v.l.n.r.) lernen in Marpingen Deutsch. Reka Klein kontrollie­rt ihre Aufgaben.

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