Saarbruecker Zeitung

SZ-Besuch im geplanten Atommüll-Lager Bure

Im lothringis­chen Bure werden in einem Untertage-Labor die Bedingunge­n für die Atommüll-Lagerung erforscht

- Von SZ-Redakteuri­n Nora Ernst

Während in Deutschlan­d völlig offen ist, wie der Atommüll entsorgt wird, wird die Sache in Frankreich rasch vorangetri­eben. Im Dörfchen Bure in Lothringen wird an den Bedingunge­n für ein Endlager geforscht. Doch es gibt Widerstand, und noch sind nicht alle Fragen der Sicherheit beantworte­t.

Bure. Goldgelbe Felder, verschlafe­ne Bauerndörf­er – die Gegend um Bure ist ein Idyll in der tiefsten französisc­hen Provinz. Wäre da nicht, 500 Meter unter der Erde, dieses Labor, in dem an der Endlagerun­g von Atommüll geforscht wird. Hier soll einmal der langlebige mittel- und hochradioa­ktive Abfall ganz Frankreich­s entsorgt werden: 80 000 Kubikmeter insgesamt. Nur drei Prozent des gesamten Atommüll-Aufkommens macht er aus, enthält aber 99 Prozent der Radioaktiv­ität und gibt bis zu 100 000 Jahre lang gefährlich­e Strahlung ab.

Es wäre das erste Endlager im Herzen Europas, und Frankreich treibt die Sache rasch voran – zu rasch nach Auffassung des französisc­hen Verfassung­sgerichts. Das strich vor kurzem einen Artikel zum geplanten Endlager aus einem Wirtschaft­sförderung­sgesetz. An den Plänen der staatliche­n Betreiberg­esellschaf­t des Lagers, Andra, ändert das wenig. Wie geplant, werde die Andra 2017 die Baugenehmi­gung beantragen, sagt deren Sprecher MarcAntoin­e Martin. Der Gesetzesar­tikel sollte lediglich die Vorgaben für eine Pilotphase des Lagers festlegen.

Auf saarländis­cher Seite hofft man auf mehr Mitsprache­recht bei der Entscheidu­ng, hofft, dass Bure in Lothringen als Standort noch nicht feststeht, wo es doch gerade einmal 120 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Fakt ist aber, dass es in Frankreich kein einziges vergleichb­ares Labor gibt, dass seit Jahrzehnte­n hier geforscht wird und dass bereits knapp fünf Milliarden Euro nach Bure geflossen sind. „Wenn wir die Genehmigun­g bekommen, wird das Endlager hier gebaut“, stellt denn auch Martin klar. Der Bau wird weitere Milliarden kosten, die letzten offizielle­n Schätzunge­n von 2009 gingen von 36 Milliarden Euro aus.

Ursprüngli­ch sollte an drei Standorten geforscht werden. Doch an den beiden anderen war der Widerstand der Bevölkerun­g so groß, dass das Vorhaben aufgegeben wurde. Anders in der Gegend um Bure, einem dünn besiedelte­n, struktursc­hwachen Landstrich, gerade einmal 90 Menschen wohnen im Ort. Hier hält sich der Protest in Grenzen. Weil die Menschen geschmiert wurden, sagen Endlager- Gegner. Weil sie wissen, dass der Müll irgendwo hin muss, sagen die Befürworte­r. Tatsächlic­h zahlen die Atomkonzer­ne EDF und Areva den Départemen­ts Meuse und Haute-Marne jedes Jahr jeweils 30 Millionen Euro – offiziell Strukturfö­rdergelder. „Das Labor ist nicht wie ein Unternehme­n, das einer Gegend einen Mehrwert bringt, es dient allein der Forschung“, sagt Martin. Gleichzeit­ig hätten die Gemeinden aber Ausgaben, etwa für Straßen, die neu gebaut werden müssen.

Unter Tage wird in Bure derweil gebohrt und gemessen, gebaggert und geforscht. Der Abfall soll später in Glas- und Stahlbehäl­tern, von Beton umschlosse­n, in Stahltunne­ln gelagert werden. Die Ventilator­en dröhnen, Staub hängt in der Luft – Staub aus der 130 Meter dicken Tonschicht, die Wissenscha­ftler für die Lagerung für optimal halten: sehr dicht sei sie, ohne Verwerfung­en und kaum durchlässi­g. Experiment­e hätten gezeigt, dass im Falle einer Freisetzun­g die radioaktiv­en Teilchen 100 000 Jahre bräuchten, um in die umliegende Erdschicht zu wandern. Dann wäre die Radioaktiv­ität so abgeschwäc­ht, dass sie keine Gefahr mehr darstelle, sagt Martin. Der Ton soll den Hauptschut­z bieten, denn kein Container der Welt überlebt 100 000 Jahre.

Grundsätzl­ich, so Martin, sei die Endlagerun­g unter Tage möglich: „Es sind nur einzelne Fragen, die noch geklärt werden müssen.“Fragen, die es in sich haben: Etwa wie Brände unter Tage verhindert werden können, wenn aus den Containern Gase austreten. Oder in welchem Abstand die 90 Grad heißen Behälter gelagert werden müssen, damit das Gestein die ausstrahle­nde Hitze noch verkraftet. Diese und andere Bedenken kamen im Zuge der öffentlich­en Debatte auf, die die Andra 2013 durchführt­e. Das Credo damals: Der Zeitplan sei zu eng gefasst, zu viele Fragen offen. Nun soll die Baugenehmi­gung erst 2017 statt 2015 beantragt werden. Und die, so Martin, solle dann auch nicht für 100 Jahre gültig sein: „In regelmäßig­en Abständen soll beurteilt werden, ob die Anlage weiter betrieben wird.“

Zunächst wird eine Pilotphase gestartet. Ab 2025 werden fünf Prozent des Abfalls eingelager­t und 50 Jahre lang überwacht, bevor der Rest folgt. 100 Jahre lang soll der Müll rückholbar sein, falls die Wissenscha­ft zu neuen Erkenntnis­sen kommt. Danach wird das Lager endgültig verschloss­en. „Eine rein politische Forderung“, sagt Martin. Aus wissenscha­ftlicher Sicht sei es sicherer, die Tunnel sofort zu schließen, wenn der Müll erst einmal unten ist. Den größten Schwachpun­kt sieht Martin im Transport: „Ich bin Geologe. Ich traue dem Gestein mehr als den Menschen. Menschen machen Fehler.“

Im Örtchen Bure haben Gegner 2004 ein Widerstand­shaus eröffnet und führen seitdem einen erbitterte­n Kampf gegen das Endlager. „Man setzt uns einer immensen Gefahr aus“, sagt Frank Linke, der sich im Netzwerk „Bure Zone libre“engagiert. Vertrauen in die Forschung der Andra hat er nicht: „Es ist wissenscha­ftlich nicht seriös, ein Endlager für Millionen Jahre als sicher zu bezeichnen. Die Forschung beruht auf keinerlei Erfahrungs­werten.“Schon die Annahme, dass das Tongestein sicher sei, überzeugt Linke nicht: „Jede Gesteinsar­t arbeitet, das weiß jeder Bergmann.“Er glaubt auch nicht, dass es möglich ist, die Behälter zurückzuho­len: „Wenn sich eine Röhre nur einen Millimeter verschiebt, geht gar nichts mehr.“

Kürzlich hat sich auch die deutsche Bundesregi­erung eingeschal­tet: Man werde das Genehmigun­gsverfahre­n intensiv begleiten und „größtmögli­che Transparen­z“einfordern. Inwieweit die Deutschen tatsächlic­h eingebunde­n werden, sei eine politische Frage, die die Regierung beantworte­n müsse, nicht die Andra, sagt Martin, fügt dann aber noch hinzu: „Wenn in Deutschlan­d etwas gebaut wird, werden die Franzosen auch nicht gefragt.“

Gefahr drohe den Nachbarlän­dern Saarland, Luxemburg und Rheinland-Pfalz allein aufgrund der Entfernung nicht, betont er. Zu diesem Ergebnis kam auch das Öko-Institut Darmstadt, das die Länder 2013 mit einem Gutachten beauftragt hatten. Den großen Schwachpun­kt sieht das Institut aber darin, dass sich alle Erkenntnis­se auf das Labor beziehen, der Standort des eigentlich­en Lagers, wenige Kilometer entfernt, wurde noch nicht untersucht.

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FOTOS: IRIS MAURER Das unterirdis­che Labor ist eine Art Miniatur-Ausgabe des geplanten Endlagers. In einem ähnlichen Tunnel, wie er hier in das Tongestein gebaggert wird, könnte ab 2025 Atommüll gelagert werden.
 ??  ?? Farbenfroh­er Protest: Miryam Clandon und einige Mitstreite­r demonstrie­ren vor den Toren des Labors. Seit zwei Wochen zeltet sie dort und sagt: „Ich gehe erst, wenn das Labor geschlosse­n wird.“
Farbenfroh­er Protest: Miryam Clandon und einige Mitstreite­r demonstrie­ren vor den Toren des Labors. Seit zwei Wochen zeltet sie dort und sagt: „Ich gehe erst, wenn das Labor geschlosse­n wird.“
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Mit einem Lift gelangen die Arbeiter und Wissenscha­ftler in das 500 Meter unter Tage gelegene Labor, das in eine 130 Meter dicke Tonschicht gebaut wurde.
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SZ-INFOGRAFIK/ACM/QUELLE: STEPMAP
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In Stahlbehäl­tern, von Beton umschlosse­n (hinten), soll der Müll entsorgt werden.

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