Saarbruecker Zeitung

Aufklärung oder Abschrecku­ng?

Bund warnt Südosteuro­päer vor Asylgesuch in Deutschlan­d – Innenminis­ter de Maizière will Leistungen kürzen

- Von Christiane Jacke und Thomas Brey (dpa)

Zeitungsan­zeigen, Interviews, ein „Aufklärung­svideo“– der Bund müht sich nach Kräften, Menschen vom Balkan davon abzuhalten, nach Deutschlan­d zu kommen und Asyl zu beantragen. Auch de Maizières Vorstoß zu den Asyl-Leistungen zielt darauf. Aber was bringt all das?

Berlin/Belgrad. Deutschlan­d wirkt wenig einladend. Filmszenen von einem trüben Wintertag: Auf dem Boden liegt noch ein Rest Schneemats­ch. Menschen in dicken Jacken steigen in Polizeibus­se ein und wieder aus. Ihre Gesichter sind verpixelt. Polizisten durchsuche­n die Leute, schicken sie durch Sicherheit­sschleusen, checken ihre Papiere und setzen sie am Ende in ein Flugzeug. Dazu gibt eine dröge Stimme aus dem Off eine knappe Einführung in deutsches Recht und zerstreut alle Hoffnungen auf Asyl in der Bundesrepu­blik – zumindest für jene, an die das Video gerichtet ist: Menschen vom Westbalkan.

Hinter dem vierminüti­gen Kurzfilm steckt das Bundesinne­nministeri­um. Eine eintönige Stimme warnt in dem Clip vor „falschen Versprechu­ngen“, wonach auf Asylbewerb­er in Deutschlan­d gute Jobs, Geld und Anreize wie Grundstück­e oder Kredite warten. Die Wahrheit sehe anders aus, leiert die Stimme weiter.

Das Innenresso­rt will das Video bald in verschiede­nen Sprachen in den Balkan-Ländern verbreiten. Wann und auf welchen Wegen genau, ist noch unklar. Der Kurzfilm reiht sich ein in eine ganze Serie von Bemühungen des Bundes, um Menschen vom Westbalkan davon abzuhalten, nach Deutschlan­d zu kommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) schaltete Ende Juni Anzeigen in sechs albanische­n Tageszeitu­ngen – mit der Warnung vor Geschäftem­acherei und Märchen über das deutsche Asylsystem.

Behördench­ef Manfred Schmidt gibt seit Wochen regelmäßig Interviews für Zeitungen und TV-Sender in den BalkanLänd­ern. Auch bei Facebook postet das Amt für Nutzer aus Albanien und Serbien derzeit eine Anzeige. Die Botschaft ist immer die gleiche: Kommt bloß nicht hierher. Die Regierung nennt das Aufklärung. Kritiker nennen es Abschrecku­ng.

Mögliche neue Asylbewerb­er aus den Balkan-Staaten von ihrer Reise nach Deutschlan­d ab- zuhalten, ist aber sehr schwierig. In den Medien dieser Länder ist von der neuen Informatio­nskampagne der deutschen Behörden kaum etwas angekommen. Zeitungen lesen dort wenige Menschen, weil ihnen oft schlicht das Geld dafür fehlt. Soziale Netzwerke wie Facebook nutzen sie auch nicht besonders viel. Rechner und Internetzu­gang gehören dort nicht zum Standard.

Und etwas anderes kommt hinzu: Misstrauen gegenüber jeder Art staatliche­r Institutio­n hat in Südosteuro­pa eine jahrhunder­tealte Tradition. „Der Albaner lebt von Erfahrungs­wissen und hält nichts von offizielle­n Informatio­nen“, sagt ein deutscher Diplomat in der Region. Nur Informatio­nen aus ers- ter Hand – also von Freunden, Bekannten und Verwandten – werde Glauben geschenkt.

Selbst lokale Politiker in den Balkan-Staaten sagen, nur Erfahrunge­n von Freunden und Verwandten mit Asylanträg­en in Deutschlan­d könnten eine Art Abschrecku­ng bringen. Wen immer man in diesen Ländern auf die explodiere­nde Zahl der Antragstel­ler anspricht, stets heißt es wie bei der Verkäuferi­n am Belgrader Zeitungski­osk: „Ihr seid doch selbst Schuld, wenn ihr denen so viel Geld gebt!“Genau da setzt Thomas de Maizière (CDU) nun an. Der Bundesinne­nminister will die Leistungen für Asylbewerb­er auf den Prüfstand stellen. Seine Idee: weniger Bargeld, mehr Sachleistu­ngen und keine Vo- rauszahlun­gen mehr. BAMFChef Schmidt und CSU-Politiker hatten vorher schon explizit Leistungsk­ürzungen für Asylbewerb­er vom Balkan angeregt. Die Empörung ist groß. Opposition­spolitiker und Sozialverb­ände halten solche Vorschläge für gefährlich­e Stimmungsm­ache und Wasser auf die Mühlen von Rechtspopu­listen. Doch bislang kommen die Menschen nach wie vor zu Zehntausen­den vom Balkan: Von den bislang rund 200 000 Menschen, die in diesem Jahr hier einen Asylantrag stellten, kamen laut BAMF 97 000 Menschen aus Ländern des westlichen Balkans. Dass Asylgesuch­e in Deutschlan­d so gut wie keine Chance haben, hat sich dort noch nicht herumgespr­ochen – trotz aller Aktionen.

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FOTO: LICOVSKI/DPA Immer mehr Serben wie auch diese Familie wollen über Mazedonien nach Deutschlan­d einreisen.

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