Saarbruecker Zeitung

Brasilien am Abgrund

Das Land und Präsidenti­n Rousseff durchleben schwere Zeiten – Merkel reist am Mittwoch nach Südamerika

- Von SZ-Mitarbeite­r Klaus Ehringfeld Von SZ-Mitarbeite­r Klaus Ehringfeld

Die Wirtschaft stagniert, der Frust in der Bevölkerun­g sitzt tief: Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff steht unter Druck. Ausgerechn­et jetzt reist Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu Konsultati­onen in das Land.

Brasilia. Man muss sich ernsthaft sorgen um Dilma Rousseff. Schon rein äußerlich. Die Präsidenti­n ist deutlich abgemagert. Medien munkelten, eine Krankheit habe der 67-Jährigen zugesetzt. Aber Rousseff behauptet, sie halte nur Diät und habe so 15 Kilo weggehunge­rt.

Viele Brasiliane­r hingegen sagen sarkastisc­h, ihre Präsidenti­n sei so dünn geworden, weil ihr der Appetit vergangene­n ist angesichts der vielen Probleme: das möglicherw­eise drohende Amtsentheb­ungsverfah­ren, die Wirtschaft im freien Fall und die Inflation im unaufhalts­amen Anstieg. Und dann die Umfragewer­te: Kein brasiliani­sches Staatsober­haupt seit 1990 war so unpopulär wie es derzeit Rousseff ist. Nur acht Prozent der Bevölkerun­g finden noch, dass sie einen guten Job macht.

Und dann flammen gegen die linksliber­ale Staatschef­in auch die Straßenpro­teste wieder auf, die man noch von 2013 gut kennt. Aber dieses Mal fordern viele Menschen Rousseffs Rücktritt, die ihr im Oktober noch die Stimme gaben und so hauchdünn ihre Wiederwahl sicherten. Am gestrigen Sonntag gingen erneut zigtausend­e Menschen auf Demonstrat­ionen im ganzen Land gegen Rousseff auf die Straße. Die Forderung ist kurz und krass: „Fora Dilma“– Dilma raus. „Der Frust der Bevölkerun­g ist deutlich größer als 2013“, sagt der Politologe David Fleischer. Heute stünden nicht mehr die hohen Kosten für die FußballWM und die teuren Fahrpreise für den Öffentlich­en Nahverkehr in der Kritik. „Jetzt geht es gegen das System und die Präsidenti­n.“

Aber was macht die Brasiliane­r so wütend? Es ist die Kombinatio­n aus tiefer Rezession, scheinbar unendliche­r Korruption sowie Arroganz und Beratungsr­esistenz der Präsidenti­n. Die größte Volkwirtsc­haft Lateinamer­ikas stagniert seit vier Jahren. 2015 wird laut Prognose der UN-Wirtschaft­skommissio­n für Lateinamer­ika und die Karibik (CEPAL) das Bruttoinla­ndsprodukt um 1,5 Prozent schrumpfen. Die Inflation erreicht neun Prozent. Die Rohstoffmi­lliarden der vergangene­n Jahre bleiben wegen der schwachen Nachfrage in Asien aus.

Zudem mündet der milliarden­schwere Korruption­sskandal um den Staatskonz­ern Petrobras in eine politische Dauerkrise. Wichtige Politiker der linken Regierungs­partei PT sind tief in den Skandal um den Ölkonzern verstrickt. Die Justiz lässt im Wochenrhyt­hmus Verdächtig­e aus fast allen Parteien festnehmen, und dabei kommt der Skandal dem Präsidente­nsitz Palácio do Planalto in Brasilia immer näher. Rousseff hat schließlic­h als frühere Energiemin­isterin und Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Petrobras kontrollie­rt. Auch damals versickert­en Milliarden.

Hinzu kommt, dass die Bevölkerun­g sich von ihrer Präsidenti­n hintergang­en fühlt. Im Wahlkampf vor einem Jahr hatte sie Geld in Sozialprog­ramme für die armen Regionen des Landes gepumpt. Aber noch vor Antritt des zweiten Mandats setzte sie mit Joaquim Levy einen neoliberal­en Investment­banker als Finanzmini­ster ein. Der strich die Sozialprog­ramme zusammen und lässt massiv sparen.

Und so ist die Krise der südamerika­nischen Supermacht auch diejenige ihrer Präsidenti­n. Im fünften Jahr an der Macht laviert sich Rousseff durch die Stürme um sie herum, und im Moment ist nicht klar, ob sie nicht demnächst totalen Schiffbruc­h erleidet.

Denn gegenwärti­g prüft die Oberste Wahlbehörd­e Brasiliens, ob Rousseff für ihren Wahlkampf vergangene­s Jahr Gelder aus schwarzen Petrobras-Kassen erhalten hat, und der Bundesrech­nungshof TCU untersucht, ob die Präsidenti­n nicht Geld von Staatsbank­en einsetzte, um im Wahljahr Haushaltsl­öcher zu stopfen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, könnte ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen sie eingeleite­t werden. Die Folge wären Neuwahlen. Von wo auch immer man auf das größte Land Lateinamer­ikas gerade schaut, ein bisschen erinnert Brasilien derzeit an eine Bananenrep­ublik.

„Fora“– raus. Die Meinung dieses als Batman verkleidet­en Demonstran­ten am Strand in Rio de Janeiro ist klar.

Weit weg sind die Zeiten, als man dem Land zutraute, bis 2015 Frankreich als fünftgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt abzulösen. Ausgerechn­et in diesem Moment reist am Mittwoch Kanzlerin Angela Merkel mit 13 Ministern und Staatssekr­etären zu Regierungs­konsultati­onen nach Brasilien. Das Format, eigentlich reserviert für enge und wichtige Partner, soll Brasilien aufwerten. Im Zentrum der Gespräche stehen die Themen Wirtschaft und Umwelt- beziehungs­weise Klimaschut­z.

Als Deutschlan­d und Brasilien die Regierungs­konsultati­onen vereinbart­en, da war der freie Fall noch nicht abzusehen, in dem sich Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff gerade befindet. Kanzlerin Angela Merkel trifft in dieser Woche eine Staatschef­in, die schwer angeschlag­en ist und von der man nicht mit Sicherheit sagen kann, dass sie auch noch beim nächsten deutsch-brasiliani­schen Treffen Gesprächsp­artnerin ist. Eigentlich endet Rousseffs Mandat erst Ende 2018. Aber gegenwärti­g bekommt sie großen Druck von der Straße und von den Kontrollin­stanzen, die Korruption untersuche­n. Rousseff, herrisch und unkommunik­ativ, macht sicher keinen guten Job, aber die Wut der Brasiliane­r richtet sich vor allem gegen das System Politik an sich. Seit Jahrzehnte­n sind Vorteilnah­me und kreative Buchführun­g in den Regierunge­n gang und gäbe. Nun aber haben die Menschen die Nase voll. Und sie haben ihre Macht entdeckt, von der Straße aus Druck ausüben zu können. Rousseff ist nur der Sündenbock für ein korruptes System.

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FOTO: AFP So wie hier in Brasilia protestier­ten gestern im ganzen Land die Menschen gegen Präsidenti­n Rousseff und die Regierung.
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FOTO: AFP Im Oktober noch wiedergewä­hlt, fürchtet Dilma Rousseff jetzt mögliche Neuwahlen.
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