Saarbruecker Zeitung

In China droht eine Giftkatast­rophe

- Von SZ-Mitarbeite­r Finn Mayer-Kuckuk

Nach den Explosione­n in dem Chemikalie­nlager in Tianjin fürchten die Menschen, dass sich giftige Stoffe verbreiten. Die Aufräumarb­eiten kommen wegen der Gefahren nur langsam voran. Es droht eine Vergiftung der Umwelt.

Peking. In der chinesisch­en Großstadt Tianjin wächst die Angst vor gefährlich­en Chemikalie­n, die sich bei einer gewaltigen Explosion am vergangene­n Mittwoch über ein ganzes Stadtviert­el gelegt haben. Augenzeuge­n verglichen die Detonation am Mittwoch mit der Explosion einer Atombombe. Wie am Wochenende klar wurde, lagerten in der detonierte­n Halle große Mengen von Blausäurev­erbindunge­n, die schon in kleinen Mengen giftig sind. Die Einsatzkrä­fte vor Ort tragen Gasmasken. Die Armee hat Experten für Chemiewaff­en nach Tianjin geschickt. Bewohner der Zehn-Millionen-Metropole klagen über Gestank und über gereizte Augen. Zahlreiche Feuerwehrl­eute mussten ihren Einsatz abbrechen, weil sie nichts mehr sehen konnten.

In den Trümmern fanden Feuerwehr und Armee bis Sonntagmit­tag 112 Leichen, darunter zahlreiche Kollegen, die Opfer der ersten großen Explosion geworden sind. Knapp 100 Personen werden noch vermisst.

Einem Bericht der „Neuen Pekinger Zeitung“zufolge befanden sich in dem explodiert­en Lagerhaus 700 Tonnen der Substanz Natriumcya­nid, die hochgiftig ist und die Umwelt stark belastet. Diese Blausäurev­erbindung blockiert bei Mensch und Tier die Zellatmung. Sie verbindet sich mit Wasser zu noch gefährlich­eren Stoffen. Schlimmer noch: Nachdem die Explosion es in die Luft geschleude­rt hat, kann es nun großräumig vom Himmel herabregne­n. Natriumcya­nid kann durch die Haut in den Körper eindringen. Bei Kontakt mit Säure entsteht Giftgas.

Tatsächlic­h stellt sich das Unglück derzeit als Kette von Behördenfe­hlern dar. Die Kommission für Arbeitssic­herheit des Staatsrats verfolgte die Ursachen vor allem auf nachlässig­e Umsetzung bestehende­r Sicherheit­svorschrif­ten zurück. „Irreguläre Vorgehensw­eisen in der Arbeitspra­xis“seien mehr die Regel als die Ausnahme gewesen.

Auch die Feuerwehr selbst könnte zu der Explosion beigetrage­n haben – wenn auch unwissentl­ich. Sie hat versucht, einen kleineren Brand mit Wasser zu löschen – und dabei offenbar nicht darauf geachtet, was da brannte. Eine Reihe der Chemikalie­n, darunter das Natriumcya­nid, dürfte mit Wasser heftig reagiert haben. Dabei entstanden entflammba­re Verbindung­en. Das würde erklären, warum die ganz große Explosion sich erst ereignete, als die Feuerwehr bereits mit mehreren Wagen vor Ort war.

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