Saarbruecker Zeitung

Die Braunkohle soll die EU-Hürde nehmen

Der Wirtschaft­sminister hält rechtliche Bedenken gegen das Modell der Kapazitäts­reserve für überwindba­r

- Von SZ-Korrespond­ent Werner Kolhoff

Weil Braunkohle­kraftwerke helfen sollen, Stromengpä­sse zu beseitigen, soll diese so genannte Kapazitäts­reserve mit 230 Millionen Euro entlohnt werden. In einen Bundestags-Gutachten werden europarech­tliche Zweifel an diesem Vorgehen laut.

Berlin. Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) hat gelassen auf rechtliche Einwände gegen den Anfang Juli gefunden Kohlekompr­omiss reagiert. Man habe mögliche Probleme mit der EU bei dem gefundenen Modell der „Kapazitäts­reserve“von Anfang an im Auge gehabt und werde sie bei der Umsetzung lösen, hieß es in seinem Ministeriu­m.

Der Wissenscha­ftliche Parlaments­dienst des Bundestage­s hatte in einem Gutachten festgehalt­en, dass das Konzept gegen EU-Beihilfere­cht verstoßen könne. Ursprüngli­ch hatte Gabriel sein Ziel, den CO2-Ausstoß der Kohlekraft­werke zu senken, durch eine Abgabe auf alte Braunkohle­kraftwerke erreichen wollen, die in der Folge wohl schnell stillgeleg­t worden wären. Das hatte zu massiven Protesten der betroffene­n Regionen geführt.

Schließlic­h war bei einem Koalitions­gipfel entschiede­n worden, dass die Stromprodu­ktion von Braunkohle­kraftwerke­n mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt – fünf große Anlagen – in eine Reserve verschoben werden soll. Sie steht für Stromengpä­sse bereit. Die Betreiber erhalten dafür 230 Millionen Euro jährlich aus einer Umlage bei den Stromkunde­n.

Die Bundestags­juristen glauben nun, dass diese Regelung gegen die EU-Beihilferi­chtlinien verstoßen könnte. Allerdings legten sie sich nicht definitiv fest. Zwar sei das Bereitstel­len einer Reserve für den Strommarkt grundsätzl­ich eine „Dienstleis­tung von allgemeine­m wirtschaft­lichen Interesse“, für die Geld vom Staat fließen dürfe, wozu auch eine Umlage zählen könne. Doch könne es hier den Verdacht einer nicht zulässigen Beihilfe vor allem deshalb geben, weil keine Ausschreib­ung vorgenomme­n werde. So könne man nur schwer begründen, warum die Betreiber eine bestimmte Rendite haben müssten. „Durch den Verzicht auf eine Ausschreib­ung wird die Bejahung einer Beihilfe wahrschein­licher“, heißt es in dem Papier. Berlin könne auch kaum mit der „Erforderli­chkeit“der Maßnahme argumentie­ren, schließlic­h sage das Wirtschaft­sministeri­um selbst, dass die Jahreshöch­stlast bis 2025 „zu nahezu 100 Prozent“gedeckt sei. Und ausgerechn­et Braunkohle­kraftwerke als Reserve seien auch schwerlich mit den Umweltziel­en der EUEnergiel­eitlinie in Übereinsti­mmung zu bringen.

Das Gutachten nimmt im Grunde die wichtigste­n politische­n Einwände gegen das Konzept auf. Die Grünen und Greenpeace hatten kritisiert, dass die dreckigste­n Kraftwerke nicht sofort stillgeleg­t würden, die Betreiber unnötig Geld erhielten und die Stromkunde­n dafür zahlen müssten. „Die Braunkohle-Reserve ist nicht nur wirtschaft­licher und energiepol­itischer Wahnsinn, sondern auch europapoli­tisch höchst fragwürdig“, sagte Grünen-Klimaexper­tin Annalena Baerbock mit Blick auf das Rechtsguta­chten.

Allerdings hatte die Bundesregi­erung in ihrem Eckpunktep­apier von Anfang Juli schon eine EU-konforme Lösung versproche­n, also Problembew­usstsein gezeigt. Jetzt werde bei der Ausformuli­erung der Regelung geprüft, ob der Behilfe-Tatbestand vorliege, hieß es. Dazu wird üblicherwe­ise auch Kontakt mit Brüssel aufgenomme­n. Wenn ja, werde man die Kapazitäts­reserve als Beihilfe bei der EU anmelden. Eine solche „Notifizier­ung“sei in der Vergangenh­eit öfter erfolgreic­h und im Einklang mit Europarech­t durchgefüh­rt worden.

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FOTO: BECKER/DPA Die Stromprodu­ktion aus Braunkohle bleibt umstritten. Am Wochende gab es im rheinische­n Revier eine Demo.

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