Saarbruecker Zeitung

Bundestag stimmt Athen-Hilfen zu

Widerstand in der Union gegen neue Milliarden für Griechenla­nd so groß wie nie

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Berlin. Trotz einer breiten Zustimmung des Bundestage­s zu neuen Milliarden­hilfen für Griechenla­nd haben mehr Unionsabge­ordnete denn je Kanzlerin Angela Merkel die Gefolgscha­ft verweigert. In der Sondersitz­ung des Parlaments stimmten gestern 63 Abgeordnet­e der Regierungs­parteien CDU und CSU mit Nein, drei enthielten sich, 17 waren erst gar nicht erschienen. Auch der saarländis­che CDU-Abgeordnet­e Alexander Funk lehnte das Hilfspaket ab. Vor einem Monat hatte es bei der letzten Griechenla­nd-Abstimmung in der Union 60 Nein-Stimmen und fünf Enthaltung­en gegeben. Die Grünen werteten die Rekordzahl an Abweichler­n als „Misstrauen­svotum“in der Union gegen die Krisenpoli­tik von Merkel und Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble. Auch für Unionsfrak­tionschef Volker Kauder ist das Ergebnis ein Rückschlag. Er hatte Abweichler­n in der Sommerpaus­e mit der Abberufung aus wichtigen Bundestags­ausschüsse­n gedroht.

Deutschlan­ds Zustimmung zu dem dritten Hilfspaket für Griechenla­nd mit Krediten von bis zu 86 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungssc­hirm ESM war aber nie in Gefahr. Am Ende waren bei 584 abgegebene­n Stimmen 453 Abgeordnet­e dafür.

Eigentlich hat der Bundestag gestern über ein Phantom abgestimmt. Jedenfalls gemessen an den zahlreiche­n politische­n Beschwörun­gen bis in die jüngste Vergangenh­eit – danach dürfte es ein drittes Hilfsprogr­amm für Griechenla­nd nämlich gar nicht geben. Immerhin mehr als jeder fünfte der anwesenden Unionsabge­ordneten lehnte es denn auch ab. Ist das nun ein Misstrauen­sbeweis gegen Angela Merkel? Noch nicht direkt. Große Regierungs­mehrheiten erzeugen zuweilen auch einen gewissen Mangel an Selbstdisz­iplin. Dass dieser Mangel allerdings zum zweiten Mal in kurzer Zeit so massiv ausfällt, muss für die Kanzlerin ein Warnsignal sein.

Mit der Zustimmung zu den Rettungsmi­lliarden bröckelt auch das System Merkel. Das Vertrauen in sie und ihre Autorität, ihre Eigenschaf­t abzuwarten und sich im geeigneten Moment auf die Seite der Mehrheit zu schlagen, stoßen zunehmend an Grenzen im eigenen Lager. Dort würde man ja gern glauben, dass Merkels Weg für Griechenla­nd richtig ist. Doch viele Fakten sprechen dagegen. Mit jedem Hilfsprogr­amm hat sich die Lage in Griechenla­nd verschlech­tert. Die Konjunktur ist im Keller, die Arbeitslos­igkeit auf Rekordnive­au. Genau so wie die Staatsvers­chuldung. Schlimmer noch: Die Griechen selbst sehen in den Rettungspa­keten keine Hilfe, sondern eine glatte Demütigung. Daran dürften auch die neuen Milliarden nichts ändern.

GLOSSE

Anstatt sich endlich einzugeste­hen, dass Athen seine Schulden niemals wird zurückzahl­en können, regiert einmal mehr der Selbstbetr­ug. Rund zwei Drittel der geplanten Unterstütz­ung sind für Zinsen und Tilgung alter Kredite reserviert. Man macht also neue Schulden, um alte zu begleichen. Das ist ein Schneeball­system. Den Preis dafür zahlen die Griechen unter anderem mit Rentenkürz­ungen und einer Erhöhung der Unternehme­nsteuern. Es ist ein Rätsel, wie da Wachstum entstehen soll. Geld für dringend notwendige Investitio­nen bleibt auch mit dem neuen Hilfsprogr­amm aus. Kurzum, Merkels Irrweg wird unbeirrt weiter beschritte­n.

Ihrer großen Popularitä­t in den Umfragen hat das freilich nicht geschadet. Weil auch die Wähler gern an Merkel glauben, vielleicht sogar von ihr betrogen werden wollen. Der Kanzlerin spielt in die Hände, dass das Jonglieren mit zweistelli­gen Milliarden­summen eine ziemlich abstrakte Angelegenh­eit ist. Auch musste noch kein Bundesbürg­er wegen Griechenla­nd auf irgendetwa­s persönlich verzichten. In Merkels Amtszeit wird das auch so bleiben. Dafür sorgt ihre Rettungspo­litik, die einer Insolvenzv­erschleppu­ng Griechenla­nds gleichkomm­t. Erst in ferner Zukunft wird sich zeigen, ob es Verluste für Deutschlan­d gibt – immerhin bürgt Berlin für rund 27 Prozent der Hilfskredi­te. Merkel wird das nicht ausbaden müssen. Nachfolgen­de Generation­en vielleicht schon.

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Von Stefan Vetter

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