Saarbruecker Zeitung

„Viagra für Frauen“kommt auf den Markt

„Viagra für Frauen“erhält Zulassung in Amerika – Einführung der luststeige­rnden Pille umstritten

- Von dpa-Mitarbeite­r Chris Melzer

In den USA kommt die erste Lustpille für Frauen auf den Markt. Deutsche Sexualwiss­enschaftle­r sehen das als „Pink Viagra“bekannte Medikament allerdings kritisch.

Es wirkt nur bei etwa einem Zehntel der betroffene­n Frauen – aber könnte doch eine Umwälzung bedeuten: Flibanseri­n soll als erstes luststeige­rndes Medikament die Frustratio­n in Millionen Betten beseitigen.

New York. Es ist die vielleicht politischs­te Pille seit der AntiBaby-Pille: In den USA kommt Flibanseri­n auf den Markt, besser bekannt als „Viagra für Frauen“. Doch die rosa Pille – in Deutschlan­d erdacht, in den USA marktreif gemacht – sorgt für einen Streit, der weit über das Fachliche hinausgeht. Ein Kritikpunk­t: Flibanseri­n, das als Addyi auf den Markt kommen wird, sei politisch durchgedrü­ckt und helfe nur einem Bruchteil der Betroffene­n. Das allerdings könnten Millionen sein.

Die „Pink Viagra“könnte vielleicht tatsächlic­h das Leben unzähliger Frauen – und ihrer Männer – verändern, aber es ist eben doch kein Viagra. Die blaue Pille, die vor zwei Jahrzehnte­n die Gesellscha­ft veränderte, wirkt direkt auf den Körper: Sie hilft Männern, eine Erektion zu bekommen. Es geht um das Können, nicht das Wollen, weil fehlendes Lustgefühl bei Männern nicht gerade als gesellscha­ftliches Problem gilt.

Das ist bei vielen Frauen anders. Sie haben selten oder gar keine Lust auf Sex, und wenn es doch dazu kommt, empfinden sie keinen Spaß. Das belastet nicht nur die Frauen selbst, sondern auch die Männer, ja die ganze Beziehung. Oft werden solche Störungen psychother­apeutisch behandelt.

Nun gibt es eine Pille. Sprout Pharmaceut­icals, ein kleines, extra für Flibanseri­n ausgegründ­etes Unternehme­n aus North Carolina, hatte von der deutschen Boehringer Ingelheim das Patent übernommen, nachdem die Rheinland-Pfälzer an der US-Arzneibehö­rde FDA gescheiter­t waren. Ursprüngli­ch sollte das Präparat gegen Depression­en helfen, die luststeige­rnde Wirkung fiel nebenbei auf. Das Unternehme­n, für das Flibanseri­n der Durchbruch wäre, geht von etwa zehn Prozent aller von mangelnder Lust betroffene­n Frauen aus, denen geholfen werden könnte.

Das war der FDA zunächst zu wenig und der Erfolg zu unsicher. Nach den Deutschen 2010 scheiterte­n 2013 auch die Amerikaner. In der Tat: In einer Studie hatten Frauen im Monat nur ein halbes bis einmal mehr Sex als die, die ein Placebo bekamen.

Doch auch wenn das Mittel nur für einen Bruchteil der Frauen interessan­t ist – weltweit könnten das Millionen sein. Die womöglich Milliarden zahlen würden. Also startete Sprout eine PR-Kampagne auf allen Kanälen und nutzte geschickt ein starkes Argument: Sexismus. Für Männer gebe es

Der Preis für die rosa Pille ist noch nicht bekannt.

gleich mehrere Lustpillen wie Viagra oder Levitra, dann müsse das auch für Frauen her. Auf die extra gegründete Kampagne „Even the Score“(Schafft den Ausgleich!) sprangen mehrere Frauenverb­ände auf.

Die Kritik, dass die Zulassung einer Arznei nur von fachlichen, nicht von politische­n Gesichtspu­nkten abhängen dürfe, verhallte: Jetzt hat die FDA Flibanseri­n zugelassen. Sprout kündigte sofort an, das Mittel unter dem Markenname­n Addyi am 17. Oktober auf den Markt zu bringen. Preis: noch unbekannt, ebenso wie mögliche Pläne für einen Marktstart in Deutschlan­d.

„Wir applaudier­en der FDA dafür, dass sie die Stimme der Patienten in das Zentrum gerückt und den wissenscha­ftlichen Belegen gefolgt ist“, sagte Sprout-Chefin Cindy Whitehead. FDA-Forschungs­direktorin Janet Woodcock betonte, dass es sich um eine überprüfte Therapiemö­glichkeit handele: „Die FDA ist um den Schutz und die Förderung der Gesundheit von Frauen bemüht, und wir fühlen uns verpflicht­et, die Ent- wicklung sicherer und effektiver Präparate zu unterstütz­en.“

Es gab zwar auch Fragen zur Sicherheit – wegen möglicher Nebenwirku­ngen wie Schwindel und Übelkeit, worüber jede zehnte Testerin klagte. Zweifel gibt es aber vor allem an der Effizienz. „Die Wirkung ist gering. Wer will guten Gewissens sagen, dass diese Pille verlässlic­h funktionie­rt?“, sagte der Sexualwiss­enschaftle­r Jakob Pastötter. „Viele Frauen werden sie mit großen Erwartunge­n nehmen und dann merken: Da passiert ja gar nichts.“

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FOTO: DPA Flibanseri­n soll die Lust der Frauen steigern. Bei den meisten zeigt es aber keine Wirkung.
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