Saarbruecker Zeitung

Katholiken ignorieren Sexualmora­l der Kirche

Internatio­nale Umfrage zeigt große Kluft zwischen Basis und Leitung bei Haltung zu Ehe und Familie

- Von kna-Mitarbeite­rin Nina Schmedding

Katholiken lehnen den Umgang ihrer Kirche mit Sexualmora­l, Ehe und Homosexual­ität mehrheitli­ch ab. Das ergab eine neue Umfrage.

Dürfen Priester heiraten? Und katholisch­e Paare Kondome benutzen? Laut einer neuen Studie würden die meisten deutschen Katholiken diese Fragen mit „Ja“beantworte­n. Kirchlich heiraten finden sie aber trotzdem wichtig.

Berlin. Dass sich die katholisch­e Kirche entgegen aller Erwartunge­n auch modern und fortschrit­tlich präsentier­en kann, zeigt sie dieser Tage mit der Verwendung des Programms „Churchix“. Mit dieser Software kann man per Computer Gesichter erkennen. Das Programm wird in Kirchen eingesetzt, um zu registrier­en, wer am Gottesdien­st teilnimmt und wer schwänzt. Praktisch.

Gänzlich unmodern ist die Kirche allerdings in Fragen der Sexualmora­l. Das findet zumindest eine überwältig­ende Mehrheit der Gläubigen, wie eine aktuelle Studie belegt, die drei Theologies­tudenten aus Berlin und Münster gestern in Berlin vorgestell­t haben. Kondome oder Pille benutzen zur Empfängnis­verhütung? Das findet die Mehrheit der befragten deutschen Katholiken zum Beispiel völlig in Ordnung.

Für die Studie hatten die Initiatore­n über 10 000 Katholiken aus 40 Ländern zu ihrem Familienbi­ld befragt, rund 8000 Antworten kamen aus Deutschlan­d. Die Studenten stellten etwa Fragen zum Umgang mit wiederverh­eirateten Geschieden­en und gleichgesc­hlechtlich­en Partnersch­aften, Empfängnis­verhütung, Zölibat und Diakonat der Frau. Wissenscha­ftlich unterstütz­t wurden sie vom „Leibniz-Institut für Sozialwiss­enschaften“(Gesis) und der Katholisch-Theologisc­hen Fakultät der Uni Münster. Repräsenta­tiv „im technische­n Sinn“sei die Umfrage allerdings nicht, hieß es.

Die Idee war entstanden, weil sich Papst Franziskus in den vergangene­n Jahren mit zwei „Familienum­fragen“an die Katholiken gewandt hatte, um zu erfahren, inwieweit die Lehre der Kirche und die Lebensreal­ität zueinander passen. Die Resonanz war aber überschaub­ar – was Kritiker auch mit der un-

Die Studenten Anna Roth, Sarah Delere und Tobias Roth stellten gestern die Ergebnisse ihrer Umfrage vor.

verständli­chen kirchliche­n Binnenspra­che erklärten.

Die Kirche müsse den Unterschie­d zwischen Ideal und Wirklichke­it anerkennen und „mit ihm aufrichtig umgehen“, erklärte die Berliner Theologies­tudentin Sarah Delere, die die Studie mitentwick­elt hat. So entspräche­n viele Antworten mehrheitli­ch nicht der kirchli- chen Lehrmeinun­g. Demnach befürworte­ten 87 Prozent der deutschen Befragten die Einführung des Diakonats der Frau. 72 Prozent gaben künstliche­n Verhütungs­methoden vor natürliche­r Empfängnis­verhütung den Vorzug. Mehr als 85 Prozent sprachen sich für die Abschaffun­g des Pflichtzöl­ibats für Priester aus. Auch die Anerken- nung und Segnung gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aften findet bei 70 Prozent der deutschen Katholiken Zuspruch. Bei der Frage, ob gleichgesc­hlechtlich­e Paare auch kirchlich heiraten dürfen, zeigte sich dagegen „kein klares Bild“.

„Gerade im Bereich der Empfängnis­verhütung wird die Kirche und ihre Lehre nicht mehr als relevante Größe wahrgenomm­en“, so Delere. „Dieser Zug ist abgefahren.“In anderen Lebensbere­ichen spiele sie laut Umfrage dagegen durchaus noch eine Rolle. So gaben mehr als 95 Prozent der deutschen Befragten an, dass ihnen eine christlich­e Kindererzi­ehung wichtig sei. Mehr als 90 Prozent sagten, dass eine kirchliche Hochzeit eine große Bedeutung habe. Ein Ideal, das laut Studie sogar altersüber­greifend geteilt wird und Katholiken zwischen 16 und 92 Jahren gleicherma­ßen gut finden.

Die Debatte, ob die kirchliche Lehre noch die Lebensreal­ität der Katholiken widerspieg­elt, finde nicht nur in Westeuropa, sondern länder- und generation­enübergrei­fend statt, betont Delere. So sprechen sich etwa für ein „probeweise­s Zusammenle­ben“vor der Ehe über 80 Prozent der Deutschen aus. Ein ähnliches Bild ergebe sich aber

auch in den meisten anderen Ländern, mit Ausnahme von Polen, so Delere. Die Ergebnisse der Umfrage will der Osnabrücke­r Bischof Franz-Josef Bode im Oktober bei der Familiensy­node im Vatikan einbringen. Da heißt es dann Farbe bekennen.

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FOTO: AFP 2011 protestier­ten diese Demonstran­ten als Kondome verkleidet in Berlin gegen die Sexualmora­l.
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FOTO: FISCHER/DPA

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