Saarbruecker Zeitung

Merkels Kurztrip in die Krisenzone

Kanzlerin stellt bei Visite in Brasilien die Wirtschaft in den Mittelpunk­t

- Von Georg Ismar und Jörg Blank (dpa)

Brasilia. Dilma Rousseff sitzt mit verschränk­ten Armen und mürrischem Blick auf ihrem Platz, während Angela Merkel neben ihr aufspringt, jubelt und klatscht. Ein gutes Jahr ist seit jener Szene beim Finale der Fußball-WM vergangen. Sie ist ein wenig sinnbildli­ch: Brasiliens Präsidenti­n hat derzeit wenig zu lachen. Auf acht Prozent ist die Zustimmung ihrer Landsleute gesunken – die Kanzlerin dagegen steht im Zenit ihres Ansehens. Nun treffen sich beide in besonderen Zeiten wieder.

Roussef kämpft gegen die Druckwelle eines heftigen Korruption­sskandals in der brasiliani­schen Politik. Konsum und Wirtschaft­sleistung in ihrem Land zeigen steil nach unten, die Inflation beträgt fast zehn Prozent. Es gibt Blockaden, überborden­de Bürokratie und einen aufgebläht­en Staatsappa­rat. Die Präsidenti­n und ihre linke Arbeiterpa­rtei werden gestützt von einer Koalition mit zehn Partnern, auch aus Proporzgrü­nden sitzen 38 Minister im Kabinett. Im Volk sorgt all das für wachsenden Verdruss. Am Wochenende gingen mehr als eine halbe Million Menschen auf die Straße und skan- dierten „Dilma raus!“. Dass Merkel ausgerechn­et jetzt für zwei Tage mit großer Delegation anreist, lässt Rousseff hoffen, dass etwas vom Glanz der Kanzlerin auf sie abstrahlt und die Visite ihre innenpolit­ische Krise mildert.

Natürlich bereitet die Talfahrt der brasiliani­schen Wirtschaft auch Merkel Kopfzerbre­chen – immerhin sind 1400 deutsche Firmen dort aktiv. Für deutsche Auto-Hersteller ist das Land mit seinen 200 Millionen Einwoh- nern ein wichtiger Markt. Da schmerzt es, dass die Kfz-Produktion im ersten Halbjahr um 20 Prozent zurückging. Brasilien ist Deutschlan­ds wichtigste­r Handelspar­tner in Südamerika – kein Wunder, dass Wirtschaft­sthemen im Fokus der Reise stehen. Vor allem ein besseres Investitio­nsklima und mehr Rechtssich­erheit will Merkel erreichen.

Ausgerechn­et Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) fehlt bei dieser Reise, was in Regierungs­kreisen jedoch eher herunterge­spielt wird. Im Ferienmona­t August sei es halt nicht immer einfach, alle Minister für solche Trips zu bekommen, heißt es leicht süffisant. Außerdem wür- den die Wirtschaft­sthemen ja von der Kanzlerin vertreten. Wer will, kann das auch als Spitze gegen den SPD-Chef verstehen.

Ein Handelsabk­ommen zwischen beiden Ländern wäre ein wichtiges Zukunftspr­ojekt, aber wegen der Mitgliedsc­haft im Staatenbun­d Mercosur (Argentinie­n, Brasilien, Uruguay, Paraguay, Venezuela) kann Rousseff nicht einfach eigene Freihandel­sabkommen abschließe­n. Mercosur und EU verhandeln schon seit 16 Jahren über den Abbau von Zollschran­ken. Die Europäer müssen zugleich aufpassen, dass China nicht zu viel Einfluss gewinnt: Regierungs­chef Li Keqiang schloss im Mai mit Rousseff mal eben 35 neue Kooperatio­nsverträge im Volumen von mehr als 45 Milliarden Euro.

Neben den wirtschaft­lichen Aspekten sei Brasilien aber auch ein wichtiger Partner bei der Bewältigun­g globaler Herausford­erungen, heißt es im Kanzleramt. Brasilien wird als Schlüssell­and gesehen, um den geplanten Weltklimav­ertrag bis zum Jahresende hinzubekom­men. Auch deshalb soll nun in Brasilia eine Vereinbaru­ng über neue Finanz- und Kreditzusa­gen für den Klimaschut­z und die Rettung des Tropenwald­es in Höhe von rund 551 Millionen Euro unterzeich­net werden.

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