„Kein vorübergehendes Phänomen“
Regierung: Flüchtlingszahl bleibt hoch – Rehlinger widerspricht Kramp-Karrenbauer
2015 wird für die Flüchtlingspolitik im Saarland ein Ausnahmejahr. 23 000 Flüchtlinge werden wohl in Lebach ankommen. In einem zentralen Punkt, dem Umgang mit Asylbewerbern vom Balkan, herrschen in der Landesregierung Differenzen.
Saarbrücken. 23 000 Flüchtlinge, schätzt das Innenministerium, werden aufs ganze Jahr gerechnet in der Landesaufnahmestelle in Lebach ankommen. Zwei Drittel davon werden anschließend auf andere Bundesländer verteilt. 2012 gab es nur 1200 „Zugänge“. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihre Stellvertreterin Anke Rehlinger (SPD) stimmen die Saarländer darauf ein, dass die Zahlen so schnell nicht deutlich sinken werden. „Die Politik muss die Realitäten zur Kenntnis nehmen und ehrlich kommunizieren. Was wir derzeit erleben, ist kein vorübergehendes Phänomen“, sagte Kramp-Karrenbauer. Daher könne sich die Politik nicht mehr in „kurzfristigen Notmaßnahmen“erschöpfen.
Für eine „besonnene Flüchtlingspolitik“hat Kramp-Karrenbauer einen Forderungskatalog erstellt. Nötig sind aus ihrer Sicht deutlich stärkere Anstrengungen, um die Fluchtursachen zu bekämpfen, in Afrika und auf dem Balkan. Die Entwicklungshilfe soll etwa stärker an demokratische Strukturen eines Landes gekoppelt werden. Innerhalb der EU müssten die Flüchtlinge gerechter verteilt werden. Wer sich widersetze, dem sollten Mittel gekürzt werden. „Europa muss auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine Solidargemeinschaft sein“, sagte Kramp-Karrenbauer.
Nicht nur die Flüchtlinge hätten legitime Interessen, sondern auch die Bundesrepublik. Dazu zähle der Zuzug von Men- schen, die sich in die Gesellschaft integrierten und schnell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Diese Menschen müssten schnellstmöglich in den Kommunen untergebracht werden. Dazu müsse der Bund deutlich mehr Mittel in den sozialen Wohnungsbau stecken, der auch Einheimischen zugutekomme, und mehr Sprachund Integrationskurse finanzieren. „Die Sprache ist das A und O“, sagte Kramp-Karrenbauer. Hier sind sich Kramp-Karrenbauer und Rehlinger einig.
Auch die Wirtschaftsministerin ist der Meinung, dass der Bund zu wenig für die Integration tut. Beim Umgang mit Asylbewerbern vom Balkan, deren Anträge zu fast 100 Prozent abgelehnt werden, gibt es jedoch Differenzen in der Regierung. Die Regierungschefin fordert für diese Gruppe zur Beschleunigung der Verfahren die „konzentrierte Aufnahme“in bundesweit vier zentralen „Aufnahme- und Rückführungseinrichtungen“und weniger finanzielle Anreize. Konkret fordert sie, verstärkt auf Sachleistungen zu setzen und Geldleistungen zu reduzieren. Im Blick hat sie dabei vor allem das Taschengeld von 143 Euro pro Monat, das für viele Menschen aus dem Balkan ein Grund sei, nach Deutschland zu kommen – auch mehrmals einzureisen. In der Landesaufnahmestelle in Lebach soll es in Kürze möglich sein, Asylbewerber, die schon mehrmals eingereist sind, mit Hilfe ihrer Fingabdrücke direkt zu erkennen und ihre Verfahren somit zu beschleunigen.
Rehlinger hingegen warnte gestern davor, Menschen, die nach Deutschland kommen, in „Asylsuchende erster und zweiter Klasse“einzuteilen. Davon halte sie wenig. „Es ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten schwierig, hier eine Differenzierung vorzunehmen“, sagte Rehlinger. Gleichwohl ist auch Rehlinger dafür, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Albanien, Kosovo und Montenegro zu erweitern. Die Einstufung eines Landes als sicheres Herkunftsland erleichtert es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, einen Asylantrag abzulehnen, weil in diesem Fall der Antragsteller nachweisen muss, dass er politisch verfolgt wird. Im Saarland ist der Anteil der Asylbewerber vom Balkan jedoch deutlich niedriger als bundesweit.
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